Potsdam-Mittelmark: „Armut ist ein Tabuthema“
Die Beelitzerin Inga-Karina Ackermann hat für ihren Kampf gegen Armut den Landesverdienstorden bekommen. Sie weiß, was es bedeutet, in einem der reichsten Landkreise arm zu sein
Stand:
Frau Ackermann, sie wurden vom Land mit einem Verdienstorden ausgezeichnet für Ihr Engagement bei der Bekämpfung von Armut. Wie sieht es mit der Armut im Potsdamer Umland aus?
Seit Jahren ist der Landkreis Potsdam-Mittelmark Vorreiter in Brandenburg. Die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei sechs Prozent, im gesamten Land liegt sie bei neun. Auch gibt es weniger Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Das sind erfreuliche Zahlen, aber das ist nur eine Seite.
Und was ist die andere?
Wir haben mittlerweile die Situation, dass die Arbeitslosenquote nicht nur in Potsdam-Mittelmark, sondern bundesweit sinkt, gleichzeitig die Armutsgefährdungsquote aber steigt. Doch das bekommt kaum einer mit, denn Armut ist in unserer Gesellschaft leider noch immer ein großes Tabuthema.
Wieso steigt die Gefahr, arm zu werden?
Wir haben immer mehr Menschen mit prekären Arbeitsbedingungen. Hinzu kommt, dass der Niedriglohnbereich sich in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet hat.
Wann ist man denn von Armut gefährdet?
Die Gefährdungsquote orientiert sich am mittleren Durchschnittsverdienst eines Landes. Von Armut gefährdet sind somit all jene, die auf weniger als 60 Prozent dieses Verdienstes kommen. Derzeit sind das im Monat 966 Euro. In Brandenburg sind 18,3 Prozent der Menschen von Armut gefährdet.
Sie leben in Beelitz. Was bedeutet es, wenn dort jemand in Armut lebt?
In ländlicheren Regionen ist die Armut eher unsichtbar, denn dort fällt es nicht so auf, wenn jemand weniger Geld zum Leben hat. Dort geht viel über Eigenversorgung und Familienzusammenhalt. Dennoch sind arme Menschen gerade auf dem Land schnell aufgeschmissen, das betrifft vor allem erwerbslose Alleinerziehende.
Inwiefern?
Um mobil zu sein, braucht man ein Auto. Das ist aber in allen Sozialleistungen nicht vorgesehen. Wer auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen ist, der kann nicht überall sein. Wenn also eine alleinerziehende Mutter keinen Job in ihrem Ort findet und die Kita nur begrenzte Öffnungszeiten hat und dann auch noch das Jobcenter in einem anderen Ort ist, dann wird das für die Frau fast unmöglich. Der Job kann in solchen Fällen nicht mehr aufrechterhalten werden, das Armutsrisiko steigt.
Sie sind selbst Mutter von drei Kindern und hatten es beim Wiedereinstieg in das Berufsleben damals schwer.
Das war auch einer der Gründe, wieso ich damals zum Brandenburger Arbeitslosenverband gekommen bin. Dort suchte ich Hilfe, denn im Bewerbungsgespräch waren meine Kinder immer eine Hürde. Ich fand damals keine Arbeit. Kurz nach der Wende wollte mir kein Personalchef glauben, dass ich meine Kinder betreut bekomme und gerne Vollzeit arbeiten möchte.
Heute engagieren Sie sich für Menschen, die von Armut betroffen sind – wie kam das ?
Damals haben wir gemerkt, dass immer mehr Menschen zu uns kommen, die Möbel, Kleider oder Essen von der Tafel brauchten. Zusammen mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband haben wir, also der Brandenburger Arbeitlosenverband, 2009 die Landesarmutskonferenz initiiert. Es ging nicht mehr nur um Arbeitslosigkeit, sondern um die vielen Facetten der Armut.
Und die wären?
Armut ist nicht nur ein Mangel an Geld, es ist auch ein Mangel an Bildung oder Gesundheit. Man kann arm sein trotz Arbeit, die Kinderarmut steigt immer weiter an, viele Menschen sind obdachlos und ganz aktuell steht auch die Armut von Flüchtlingen im Vordergrund. So vielfältig wie die Armut ist, so vielfältig sind auch die Faktoren, die das Risiko, arm zu werden, erhöhen.
Aber nach wie vor birgt doch die Arbeitslosigkeit ein sehr hohes Risiko, um in die Armut abzurutschen.
Das stimmt, die Arbeitslosigkeit steht bei den Risikofaktoren an erster Stelle. Danach kommen die Kinder, die dazu führen können, das Familien arm werden. An dritter Stelle steht das Bildungsniveau, das auch zu den Faktoren der Armutsgefährdung zählt.
Was muss sich in Zukunft ändern, um die Armutsrisiken zu minimieren?
Es ist nicht nur damit getan, die Grundsicherung zu erhöhen. Auch Langzeitarbeitslosen sollte eine Chance gegeben werden. Bereits nach einem Jahr Arbeitslosigkeit zählt man zu der Gruppe und sie sind von dem jetzt verabschiedeten Mindestlohn von 8,50 Euro ausgenommen. Eine Frechheit, wenn Sie mich fragen. Wir müssten auch viel mehr in unsere Kinder investieren, sie sollten alle die gleichen Möglichkeiten bekommen. Kann eine Familie sich den Schulausflug nicht leisten oder andere Sachen, die die Mitschüler alle haben, dann isoliert sich das Kind, kann schlechter in der Schule werden, hat ein schlechteres Bildungsniveau und wird das später zu spüren bekommen.
Das Interview führte Eva Schmid
Inga-Karina Ackermann (52) ist Vorsitzende des Arbeitslosenverbandes Brandenburg und hat die jährlich stattfindende Landesarmutskonferenz mitbegründet.
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