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KulTOUR: Bach, Einstein und Casal

„Caputher Musiken“ zur Freundschaft zweier „Leuchttürme“ und einen Dritten, der kein Professor war

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Von Gerold Paul

Schwielowsee - Wenn das so weitergeht, wird man den „Caputher Musiken“ demnächst wohl ein Haus bauen müssen, hoffentlich mit Ventilation. Die letzten beiden Veranstaltungen im Schlossanbau waren ja fast überfüllt, sowohl das einzige Kinderkonzert im Jahr als auch das Ding mit den beiden „Leuchttürmen“. Die da ihr Licht in die Dunkelheit streuten, hießen Albert Einstein, und Pablo Casals – der vielleicht bedeutendste Cellist des vorigen Jahrhunderts, er hat die Solo-Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach durch sein Spiel überhaupt erst hof- und damit bildungsbürgerfähig gemacht.

Was beide miteinander auszuhandeln hatten, erzählte der Berliner Journalist und Musikkritiker Albrecht Dümling ganz nach der Ordnung, indes der 1935 in Berlin geborene Solo-Cellist Wolfgang Boettcher seine Rolle als Weltstar ausfüllte, besonders bei der Ausführung der Solo-Suiten BWV 1007 und 1009, auch wenn mancher Ton nicht ganz da saß, wo er vielleicht hätte sitzen sollen. Immerhin spielte er aus dem Gedächtnis.

Ein Dritter soll nicht fehlen, der 1924 in El Paso geborene und heute gleichfalls in Berlin lebende Fotograf Paul Moore. Von ihm stammten einige der bisher unveröffentlichten Fotos aus dem Alltag des viel geehrten Spaniers, der seinem Vornamen Pau, nicht Pablo, ausgesprochen haben wollte, weil das in seiner katalanischen Mundart auch „Frieden“ bedeutet. Pau Casals (1876-1973) also war ein Verweigerer. Als in Russland die Revolution ausbrach, gab er dort genauso wenig Gastspiele mehr, wie in Franco-Spanien und in Hitlerdeutschland. Mit seinen Konzerten und viel politischem Einsatz verhalf er dem Exildorf Prades in den französischen Pyrenäen zum Weltruf. Promis von überallher wallfahrten ab 1950 dorthin. Überschaubar berichtete Albrecht Dümling von Casals Seelenverwandtschaft mit Einstein. Man sah einander zwar nie, aber dafür schätzte man sich fast über die Maßen, korrespondierte. Gemeinsame Themen waren die Musik und Begriffe wie Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit, die Ablehnung diktatorischer Staatsgebilde. Zeitweilig hielt die Welt diese beiden sogar für ihr „Gewissen“.

Casals half von Prades her Flüchtlingen, setzte sich für sie sogar bei Kennedy und der UNO für die Demokratisierung Spaniens ein. Er schwor, sein Heimatland so lange nicht mehr zu betreten, wie Franco lebt, oder die West-Alliierten ihre Unterstützung nicht aufgäben.

Der Dirigent, Komponist und Cellist starb – wenige Monate vor dem Diktator. Bis zuletzt träumte er die „unerschütterliche Einheit von Kunst und Moralität“. Wie dieser sich früh Bach („er ist alles, nur kein Professor!“) und ein Cello zur „Lebensbegleitung“ wählte, so schwärmte Wolfgang Boettcher von Jugend an für Casals. Um so mehr war er enttäuscht, als er jüngst alte Plattenaufnahmen von ihm hörte: Offenbar hatte sich seine eigene Wahrnehmung verändert.

Des ungeachtet, gab er Bachs Suite für Violoncello Nr. 1 in G-Dur, zweimal von Moderationen unterbrochen, mit leichtester Hand. Die gleichfalls siebenteilige C-Dur Suite Nr. 3 hörte man im Stück. Aber wie virtuos das auch interpretiert sein mochte, diese beiden Kompositionen blieben Lehrstücke, obwohl sie der alternde Bach ausdrücklich „der Gemütsergetzung“ anempfahl. Vermutlich aus schlechtem Gewissen, er wollte ja auch unbedingt ohne Basso auskommen.

Nach zwei Stunden höchster Gelahrsamkeit im unbelüfteten Raum war man groggy. Für Andreas von Zadow gehörte der „Weltklasse-Abend“ zu den Höhepunkten der „Caputher Musiken 2010“, genau wie die erfrischenden Bach-Interpreten von „Jugend musiziert“ oder die Nutzung der Bergmann-Villa. Das Programm 2011 ist fertig. Man ist „sehr zufrieden“. Eine prachtvolle Zeit zur Kritik.

Gerold Paul

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