Von Hagen Ludwig: Bei Riga erschossen
Acht neue „Stolpersteine“ erinnern seit gestern in Kleinmachnow an Opfer der Nationalsozialismus
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Kleinmachnow – Schon bevor der Unternehmer Kurt Sahlmann im Jahre 1938 eine Geschäftsreise nach Riga angetreten hatte, gab es in Deutschland judenfeindliche Terrorakte von NSDAP und SA, „Juden raus aus der Wirtschaft“ hieß die Parole. In Riga erfährt Sahlmann, der von seiner Frau Ida begleitet wurde, dass sein Haus im Kleinmachnower Erlenweg 2 demoliert wurde. Beide bleiben aus Angst in Lettland, was deutsche Behörden veranlasst, ihnen die Staatsbürgerschaft abzuerkennen und ihr Vermögen – ihnen gehörte unter anderem in Fürth eine Hopfenfabrik – einzuziehen.
Akribisch haben Mitglieder der evangelischen Jungen Gemeinde Kleinmachnow und des Heimatvereines über das Schicksal Kurt Sahlmanns recherchiert. Dort, wo das Haus seiner Familie stand, wurde gestern einer von acht „Stolpersteinen“ für ehemalige Kleinmachnower verlegt, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden.
Da sich die verblichenen Dokumente in verschiedenen Archiven befinden, geriet die Recherche zu einem Puzzlespiel, viele Steine fehlen noch. Über Kurt Sahlmann war aus den Akten zu erfahren, dass er später in Riga verhaftet und ins Ghetto deportiert wurde, nachdem die Deutschen 1941 Lettland besetzt hatten. Als Arierin versorgte ihn seine Frau Ida heimlich mit Lebensmitteln und Kleidung, bis sie eines Tages denunziert wurde. Ebenso wie 10 000 andere deutsche und lettische Juden wurde Kurt Sahlmann schließlich bei Riga erschossen.
Die Idee für das „Stolperstein“-Projekt hatte 1993 der Kölner Künstler Gunter Demnig. Vor dem jeweils letzten freiwillig gewählten Wohnort von Opfern der NS-Diktatur will er die Erinnerung an diese Menschen bewahren. Rund 15 000 Stolpersteine hat er in mehr als 400 deutschen Orten bereits verlegt. Auch in Österreich, Ungarn und Holland sind sie mittlerweile zu finden.
Oft ist Demnig wochenlang unterwegs, auch der Tacho seines Peugeots, den er seit anderthalb Jahren fährt, bestätigt das mit einem aktuellen Stand von 84 000 Kilometern. Verlegt werden Steine für alle Opfer der Nationalsozialisten, allerdings ist die Gruppe der jüdischen Opfer die zahlenmäßig größte. Angesichts von sechs Millionen Opfern sagte Demnig gestern in Kleinmachnow: „Diese Zahl bleibt auch für mich eine abstrakte, nicht fassbare Größe, obwohl ich fast täglich mit diesem Thema zu tun habe.“
Weitere Steine wurden anschließend in Kleinmachnow für Regina, Tana und Norbert Horst Leonhard Pohl (Geschwister-Scholl-Allee 54), Margarete Eisermann (Brodberg 16), für Friedrich Siegfried Daus (Zehlendorfer Damm 90), für Kurt Schmeidler (An der Stammbahn 41) und Wally Schlesinger (Auf der Drift 12) verlegt. Die letzte Adresse war Anfang der 1940er Jahre zu einem sogenannten „Judensammelhaus“ geworden. Auch der Ingenieur Schmeidler wurde in dieses Haus umgesiedelt, nachdem er beim Finanzamt Teltow eine Unbedenklichkeitsbescheinigung beantragt hatte. Denn das genügte der Behörde, um die Reichsfinanzverwaltung zu informieren, weil „vorbereitende Maßnahmen zur Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland“ vermutet wurden. 1942 wurde Schmeidler nach Auschwitz deportiert und gilt fortan als vermisst.
Die ersten acht „Stolpersteine“ waren schon im März vergangenen Jahres in Kleinmachnow verlegt worden. Nun werden noch Steinpaten gesucht, möglichst Anwohner, die in regelmäßigen Abständen den Zustand der Steine kontrollieren. Interessenten können sich an Martin Bindemann von der Jungen Gemeinde wenden.
Infos unter Tel. (033203) 22844
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