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In Familientradition. Harald und Wolfgang Türk haben die Werkstatt in der Brandenburger Straße in Werder (Havel) von ihrem Vater übernommen. Schon als Schüler standen sie an den Nähmaschinen, mit 16 Jahren begannen sie ihre Lehre im Betrieb.

© Sebastian Gabsch

Werder (Havel): Bequem ist anders

Die Brüder Türk sind seit 35 Jahren Polster- und Sattlermeister. Ihr Gewerk verlangt ihnen vieles ab.

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Werder (Havel) - Auf den Tischen türmen sich farbige Velourszuschnitte, aus der Tür zum Nebenraum ragt eine Ecke Schaumstoff: Es sieht nach viel Arbeit aus in der Sattler- und Polsterwerkstatt der Brüder Türk. Gerade müssen ein paar Polsterstühle für das Hans Otto Theater fertig werden, denn bereits am nächsten Tag wird ein Autoliebhaber seinen Adler-Oldtimer aus dem Jahr 1926 liefern. „Da soll alles neu gemacht werden: Teppiche, Fahrzeughimmel, Seitenausstattung“, sagt Harald Türk. Außerdem warten einige Couchgarnituren auf neue Polster und das Boot eines Stammkunden braucht eine neue Schutzplane. Es kommt eben nie Langeweile auf im Beruf der Werderaner Brüder Türk, die am 15. März ihr 35-jähriges Meisterjubiläum feiern werden.

„Die Vielseitigkeit ist wahrscheinlich das Schönste an unserem Handwerk“, sagt Harald Türk. Die Brüder haben sich in der Region einen guten Ruf erarbeitet und brauchen schon lange kaum mehr Werbung für ihre Dienste zu betreiben. Für viele ihrer Aufträge kooperieren sie inzwischen mit namhaften Restauratoren. Mit der freiberuflich tätigen Sara Pieper etwa haben sie mehrere Biedermeier-Möbelstücke, unter anderem für das Schloss Paretz, neu bepolstert. Und zuweilen sind die Dienste der Brüder auch bei restauratorischen Arbeiten an Gebäuden gefragt: Als die Kuppel und der Fußboden der Französischen Kirche in der Potsdamer Innenstadt erneuert wurden, lieferten die Brüder Türk dafür eine Schutzplane, die unter der Kuppeldecke aufgehängt wurde. So war die frisch restaurierte Decke vor dem Staub geschützt, der durch die Arbeiten am Fußboden aufwirbelte.

Die Werkstatt haben die Brüder einst von ihrem Vater übernommen, der in der Nachkriegszeit von Polen nach Werder kam. Schon als Kinder mussten Harald und Wolfgang Türk nach der Schule im väterlichen Betrieb anpacken, indem sie Stoffe per Hand und mit der Maschine vernähten. „Im Schulfach Nadelarbeit waren wir die Besten“, erinnert sich Harald Türk. Als 16-Jährige begannen die Brüder ihre Lehre in der Sattlerei und Polsterei des Vaters. Nach einigen Jahren als Gesellen gingen sie von 1979 bis 1982 auf eine Meisterschule in Leipzig.

Schon damals hätten nur wenige Schulabgänger das Gewerk des Sattlers und Polsterers gewählt. Inzwischen sind in der Potsdamer Innung der Raumausstatter, Sattler und Feintäschner nur noch 34 Betriebe vertreten. Der 58-jährige Harald Türk und der 59-jährige Wolfgang Türk wissen noch nicht, wie es mit ihrer Werkstatt weitergehen wird, wenn sie innerhalb der kommenden fünf oder zehn Jahre in den Ruhestand gehen. Zwar hat Harald Türks Sohn ebenfalls eine Lehre in der Werkstatt der Brüder absolviert, inzwischen studiert er aber BWL und trägt sich eher mit dem Gedanken an einen bequemeren Schreibtischjob. Denn so gemütlich die Polster auch sein mögen, die Harald und Wolfgang Türk herstellen – ihre Arbeit ist selten bequem. „Eine alte Couch zu stemmen ist schwer und um den dicken Stoff beim Nähen zu halten und zu spannen, braucht man ebenfalls viel Muskelkraft“, erklärt Wolfgang Türk. Was die Sattlerei angeht, sind manchmal sogar noch viel athletischere Manöver notwendig.

Oft müssen die Brüder an den Außenkanten von Schiffen entlangklettern, um die benötigte Stoffmenge für die Beplanung abzumessen. „Da landet man auch schon mal im Wasser“, sagt Wolfgang Türk. Und wenn ein Boot partout keine Stehmöglichkeit biete, komme es auch mal vor, dass sich ein Sattler kopfüber von einem nahe gelegenen Schuppen herabhängen lassen müsse. „Ein zweiter muss dann natürlich die Füße festhalten“, sagt Wolfgang Türk mit Blick zum Bruder. So amüsant die Geschichten klingen mögen – die körperlichen Spuren, die der Beruf bei den Brüdern bereits hinterlassen hat, sind es nicht. Mehrere Bandscheibenvorfälle und eine Operation der Handsehnen zeugen von den vielen Jahren schwerer Belastung.

Einige technische Prozesse seien in den vergangenen Jahrzehnten durchaus einfacher geworden. Nach der politischen Wende hatten die Brüder Zugang zu Maschinen aus Westdeutschland, die sie sich vorher im besten Fall aus den verfügbaren Materialien selbst zusammenbauen konnten. Aber manchmal stellen sie auch fest, dass zeitaufwendigere Verfahren vergangener Zeiten die haltbareren Ergebnisse liefern. So verliere Leder leichter seine Form, wenn man es nach heutiger Machart mit Chrom statt nach traditioneller Methode mithilfe von Pflanzen gerbe.

Eigentlich bräuchten die Brüder bei dem Arbeitsvolumen, das sie inzwischen bewältigen, ein paar Angestellte. Aber geschultes Personal sei in der Branche ohnehin schwer zu finden. Noch schwerer lässt sich Personal auftreiben, das die hohen Qualitätsstandards erfüllen kann, die die Kunden der Brüder Türk inzwischen gewohnt sind.

Von den zwölf Schülern, die damals mit ihnen in die Meisterklasse gingen, hätten die meisten den Beruf inzwischen aufgegeben. Gesundheitliche Probleme, die unsichere Stellung als Selbstständiger und der hohe Arbeitsaufwand seien häufige Gründe gewesen. Zwei Wochen Urlaub, mehr sei im Jahr nicht drin, sagt Harald Türk. Aber dafür wird es in der restlichen Zeit nie langweilig.

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