Potsdam-Mittelmark: „Berlin ist eine Stadt in Brandenburg!“
Altgediente diskutieren über die Zukunft: Stolpe und Diepgen in der Kulturscheune Ferch
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Schwielowsee - Wenn sich zwei altgediente Politiker ausgerechnet am Neumondtag treffen, um über die Zukunft zu reden, muss das wohl Bedeutung haben, diese Art kosmischer Finsternis bedeutet ja stets auch „Anfang“. Auf Einladung des Kulturforums Schwielowsee diskutierten Manfred Stolpe und Eberhard Diepgen letzten Freitag beim 4. „Fercher Seegespräch“ höchst visionär über die künftige Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin. Beide waren ja die Architekten des ersten Versuches, der 1996 am Volksentscheid hierzulande scheiterte. Gibt es etwa neue Tendenzen?
Die gutgefüllte Kulturscheune erfuhr es bald. Zwei wohlgeformte Statements zum Beginn machten deutlich, dass die Politiker von dieser Fusion nicht lassen mögen, auch wenn Brandenburgs jovaler Ex-Ministerpräsident sie jetzt „Zusammenlegung“ nennen wollte. Zur Begründung griff er auf die Askanier und kulturschaffenden Zisterzienser zurück, um dann wieder schwer von den Preußen zu schwärmen. Aus diesem doppelten Erbe könnte sogar etwas ganz Neues entstehen, folgenreich für ganz Deutschland, denn die nächste Länderreform komme so oder so. Das Experiment vor zwölf Jahren sei lediglich an „Stimmungsschwankungen“ gescheitert, sechs Monate später sei „alles ganz anders“ gewesen, so Stolpe. Die jetzige Lage sei „nicht das Ende des Weges“.
Eberhard Diepgen machte deutlich, dass beide Teile erst „die Region“ bildeten, leide eines, so auch das andere: „Berlin ist eine Stadt in Brandenburg!“ Berlins CDU-Ehrenvorsitzender war Stolpe für dessen Preußen-Eloge dankbar: „Wenn ich das gesagt hätte, wäre ich gleich wieder als Reaktionär verschrien worden“, scherzte er. Für ihn gehöre „die Region“ vor allem wirtschaftlich zusammen – was vor dem Hintergrund reicher Geber- und armer Nehmerländer innerhalb Deutschlands sofort verständlich wird.
Anstelle eines Ost-West-Konfliktes sieht er heute einen zwischen Norden und Süden. „Ökonomisches Denken“ hätte erst zu den bekannten Schwierigkeiten geführt. Diepgen will nun zuerst „die Mobilität“ des neuen Gebildes sichern, wegen der „Lebensqualität“ seiner Bürger, wozu auch die End-Entscheidung für den Flughafen Schönefeld steht. Beide hatten sich zuerst für Sperenberg stark gemacht. Auch Diepgen sprach von den Erfolgen am Wege: Vereinigte Verwaltungsgerichte, Flughafen, RBB: „Ein gemeinsames Land ist notwendig!“
Als Verwaltungsjuristen parlierten sie viel über Verwaltung, über eine „transparentere Politik“ (Glasnost), über eine abgestimmte „Ansiedlungspolitik“ und über das leidige Geld. Diepgen fehlt (mit Wink auf Preußens Territorialstruktur) ein „Verbund von Oder und Rhein“, zugleich beklagte er die „Rheinbund-Mentalität“ der südlichen Geber-Länder. Damals gehörte auch Sachsen dazu.
Das Publikum folgte den Visionären weitgehend mit passenden Fragen, viele waren ja neue Bürger in Ferch. Einer jedoch, ein Hiesiger, wollte wissen, wat er denn davon hätte, auch wenn Herr Diepgen jetzt „Nebenluft zieht“. Mit seinem PM am Auto fühle er sich in Berlin „wie ein Aussätziger“. So praktisch kann Toleranz plötzlich sein. Es war wohl der beste Beitrag des Abends.
Weiter hörte man in den zweieinhalb Stunden, dass Stolpe eine neue Volksabstimmung befürworten würde, Diepgen aber nicht, weil sonst „Unregierbarkeit“ (wie in der Schweiz?) herrsche. Strategisch sei man jedoch längst auf dem Wege: Kooperation jetzt, irgendwann später Fusion. So brachte der Neumond alles ans Licht.
Gerold Paul
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