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KulTOUR: Berlin vor den Toren Berlins

Im Kleinmachnower Rathausfoyer zeigt Ina Kober surreale Ansichten der Hauptstadt

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Kleinmachnow - Ist es die Realität, sind es die Sinne, oder nur der Sinn, der die Bilder der Welt oft so surreal aussehen lässt? Im Kleinmachnower Rathausfoyer ist auf einem der Bilder von Ina Kobler eine Neubau-Häuserfassade, Balkon neben Balkon, alles im trüb-unifarbenen Graublau. Nur ein einziger ist anders: Da steht ein Tisch mit weißer Tischdecke und darauf ein bunter Sommerblumenstrauß.

Oder die gitterförmige Häuserfassade einer Industrieanlage, die blanke Geometrie: Schaut man genau, schiebt sich von links ein keilförmiges Etwas ins Bild, wie aus einer anderen Welt, aus anderem Stoff, von anderem Sinn. Manchmal genügt es, wenn man, wieder an einer Neubaufassade, plötzlich ein paar nackte Menschenfüße herausragen sieht. Natürlich vermutet man nicht unrechtens, dass da wohl einer liegen müsse. Vielleicht aber auch nicht, es soll ja Spaßvögel geben, die so etwas installieren – dann wäre es todsicher Kunst, na klar. Das Surreale ist eben überall!

Bilder aus dem nahen Berlin, Bilder der Welt. Aufgenommen von Ina Kober, die Geburt, Jugend und Berufsfeld mit dieser Metropole verbindet. Mit einem „tiefen Heimatgefühl“, wie sie in der Vita zu ihrer wunderbaren Foto-Ausstellung „Das ist so Berlin“ mitteilt. Sie versteht ihre gut 30 mittelformatigen Arbeiten als „fotografische Notizen“, sozusagen im Vorübergehen gemacht, seit 2010 auch digital.

Vom Vaterhaus schon früh fürs Metier interessiert, bevorzugt die Berlinerin das Detail: Eine ältere Dame in Blau mit neuem Handy, zwei ins Unendliche strebende Vertikalen, Hochhauskante und DDR-Straßenlicht, weiter nichts. Da fängt es in einem ganz von allein an zu denken. Ein Brunnen, in dessen Wasser sich etwas spiegelt, was dem Betrachter verborgen bleibt. Ein menschenleerer Durchgang, im Hintergrund Menschengewimmel. Irgendwie gruselig, surreal eben!

Während ein Maler wie Salvador Dalí seine Bildgründe mehr oder weniger suchen oder konstruieren musste, liegen sie für Ina Kober wortwörtlich auf der Straße. Sind Realität, nur geht man allzu achtlos daran vorbei. Neben „architektonischen Besonderheiten und An- und Abwesenheit von Menschen“ fokussiert die Fotografin ihre Gedanken auf die Themen Stille, Meer, Farbe, Struktur – und „food“.

Wie bei Hochhaus und Lampe die Kraft der Vertikale auf den Betrachter eindringen, so auf einem anderen Foto zwei Horizontalen: eine bildet ein Stück Berliner Mauer, die zweite darüber der Giebel des East Side Hotels. Der allererste Eintrag im Besucherbuch dokumentiert dieses Staunen: Man sei „fasziniert von den Fotos“, sie würden einen „regelrecht gefangen halten“.

Und das stimmt. Ina Koblers Bild-Ästhetik funktioniert, wie im Übrigen ja auch die Sprache, nach Art der Dialektik: Die Motive addieren und komplementieren sich zu einem Dritten, Neuen, mit anderer Wirkung. Man würde zum Beispiel Plakat und Eingangstür zu einer Feier anders aufnehmen, würde nicht auf dem Fenstersims daneben ein leeres Sektglas stehen. Oder der Mauerdurchbruch ohne die höchst agilen Radler dahinter. Oder die Industrieanlage von gegenüber gespiegelt im Fenster-Avers des „Diesseits“. Die bissige Korrespondenz zwischen Linie und Welle in der Architektur.

Also doch etwas Surreales. Berlin vor den Toren Berlins. Oder Bilder von irgendwo. Manches könnte dem Traumland entstammen. „Das ist so Berlin“, heißt es in einem Foto, welches einen mit Plakaten zugeklebten Baum zeigt. Armer Baum – tolle Ausstellung! Gerold Paul

Die Ausstellung ist zu den Öffnungszeiten des Rathauses, Adolf-Grimme-Ring 10, Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr, dienstags bis 20 Uhr sowie jeden ersten Samstag 10 bis 13 Uhr zu sehen

Gerold Paul

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