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Potsdam-Mittelmark: Bilder voller Stille

Der Fotograf Siegmar Brüggenthies hat einen Bildband über den Südwestkirchhof zusammengestellt

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Stahnsdorf - Ein morsches Holzkreuz im Herbstlaub – es ist das Einzige, was noch an Herrman Burwick erinnert. 1918 soll er gestorben sein, vielleicht als Soldat im Ersten Weltkrieg. Nach fast hundert Jahren ist sein Grab auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof kaum noch zu erkennen. Doch der große Baum, der in dieser Zeit dahinter gewachsen ist, scheint das kärgliche Kreuz geschützt zu haben. „Mir ist dieser Friedhof nicht nur wegen seiner berühmten Toten lieb“, sagt Altbischof Wolfgang Huber mit Verweis auf Persönlichkeiten wie Engelbert Humperdinck, Werner von Siemens oder Walter Gropius, „sondern auch wegen der vielen Unbekannten.“ An sie zu erinnern müsse die Aufgabe von Geschichte sein.

Auf das gerissene und schief aus dem Boden ragende Holzkreuz ist der Fotograf Siegmar Brüggenthies während einer seiner unzähligen Streifzüge über den Südwestkirchhof gestoßen. Er hat es zusammen mit weiteren Motiven, die er zu verschiedenen Jahreszeiten festgehalten hat, in einem Bildband verarbeitet. „Der Welt abhanden gekommen“, so der Titel, ist die erste Publikation dieser Art über den mit einer Fläche von rund 200 Hektar zweitgrößten Friedhof Deutschlands. Das Werk mit über 80 Fotografien ist jetzt im Handel erschienen und wurde gestern der Öffentlichkeit vorgestellt.

Unterstützt wurde die Publikation, die in einer Auflage von 2000 Exemplaren erschienen ist, von zahlreichen Sponsoren – und dem Hausherrn: der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Deren Bischof Markus Dröge sieht in Brüggenthies’ Bildern eine „besondere Atmosphäre zwischen Zeitlichem und der Unendlichkeit“. Die Bilder würden ganz existenzielle Fragen aufwerfen: „Was bleibt, wenn wir der Welt abhanden kommen?“

Es sind Bilder voller Stille, die der 1951 in Dortmund geborene und heute in Berlin lebende Fotograf gemacht hat: Eine Frauenskulptur, die mit geschlossenen Augen zu Boden blickt. Schneebedeckte Kiefernäste, die sich im Winter auf die Wege neigen. Zwei Putten, die sich im ersten warmen Licht der Frühjahrssonne aneinanderklammern – von Efeu berankt und von Farn umschlossen. Die Natur hat sich vieles zurückerobert von dem, was der Mensch hier einstmals aufgestellt hat, um seine Nächsten zu ehren.

2004 ist Siegmar Brüggenthies das erste Mal auf dem Südwestkirchhof gewesen. „Ich war überwältigt von seiner Größe und fand es nahezu unmöglich, nicht die Orientierung zu verlieren“, schreibt er im Textteil des Buches. Innerhalb der nächsten vier Jahre war er regelmäßig auf dem Friedhof unterwegs, insgesamt 70 Tage lang. 2008 war er erstmals an die Evangelische Kirche herangetreten mit der Idee, eine Dauerausstellung ins Leben zu rufen. Nach dem hundertjährigen Gründungsjubiläum des Südwestkirchhofes entschloss man sich, einen Bildband herauszugeben.

Der Fotograf sei dem besonderen Geheimnis dieses Ortes auf die Spur gekommen, sagt Wolfgang Huber, der bis vor drei Jahren der Evangelischen Landeskirche als Bischof vorstand. Er spricht von Überwältigung, Verwirrung, Verliebtsein. Es sind Gefühle, die auch ihn umtreiben. Huber und seine Frau Kara sind Mitglied im Förderverein des Friedhofes und haben jetzt die Patenschaft über eine verwaiste Grabstätte übernommen. Für nur kurze Zeit, von 1937 bis 1966, war hier ein gewisser Karl Schaller bestattet. Nach der deutschen Teilung holte seine Familie die Urne in die BRD und bestattete sie im Hunsrück. Das Grab soll die letzte Ruhestätte der Hubers werden. „Wir haben unsere Heimat und Zukunft gefunden, weil wir wissen, wo wir ruhen werden“, so der Altbischof.

„Der Welt abhanden gekommen“ ist für 16,95 Euro überall im Handel und am Eingang des Südwestkirchhofes erhältlich.

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