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Potsdam-Mittelmark: Bis zum Fernsehturm

Früher war es nur Waldarbeitern vergönnt, Ende des Jahres soll endlich jeder das Panorama vom Wietkiekenberg genießen dürfen

Von Eva Schmid

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Schwielowsee - Der Weg zur Arbeit war der reinste Sport: Jeden Morgen 120 Stufen hinauf, jeden Abend 120 Stufen wieder runter. Und wenn man mal zwischendurch auf Toilette musste, ging das Treppensteigen von vorne los. 30 Jahre lang verbrachte der Fercher Dietmar Schmitt jeden Sommer auf dem Wietkiekenberg in den Hochwäldern zwischen Ferch und Caputh. Die höchste Erhebung in der Zauche eignete sich bestens für einen Rundumblick über das dichte Waldgebiet am südlichen Ende des Schwielowsees.

Schmitt stieg immer an heißen und trockenen Sommertagen auf seinen Feuerwachturm. Er war einer von insgesamt sechs Waldarbeitern, die dort oben Dienst hatten. Wenn es brannte, schlug er Alarm. Wenn es ruhig blieb, hörte er Radio oder las in seinem Buch. Alle fünf Minuten suchte sein Blick die Umgebung nach Rauchschwaden ab, um frühzeitig Waldbrände auszumachen. „Bei klarer Sicht konnte man sogar den Berliner Fernsehturm sehen“, sagt der heute 60-jährige Schmitt.

Der Blick vom Schwielowsee über Potsdam bis nach Berlin soll nicht mehr nur Waldarbeitern vergönnt sein. Noch in diesem Jahr soll auf dem Wietkiekenberg eine Aussichtsplattform entstehen. Im November und Dezember würden vorgefertigte Stahlkonstruktionen für die eckige Plattform an den Betonmast montiert werden, sagte Schwielowsees Bauamtsleiterin Kerstin Murin auf Anfrage den PNN. Mit der neuen Plattform würde die 125 Meter hohe Erhebung ihrem Namen endlich alle Ehre machen – denn „wiet kieken“, wie man vor mehr als 100 Jahren noch in der Region auf Plattdeutsch sagte, konnte man von dort oben noch nie. Bäume versperren die Sicht. Nur wer den alten Feuerwachturm besteigen durfte, schaute über die Baumwipfel.

Seit gut einem Jahr steht an der Stelle des alten Turmes ein moderner Funkmast. Darauf sind Kameras installiert, die übernehmen jetzt die Arbeit von Schmitt. Der graue Betonriese mit seinen 55 Metern dient der Polizei und der Feuerwehr auch für ihr Digitalfunksystem. Die Aussichtsplattform soll auf 28 Metern Höhe entstehen. So hoch saßen die Waldarbeiter früher auch.

„Das war ein bisschen wie Stubenarrest dort oben“, erinnert sich Schmitt. Die Kanzel des inklusive Funkmast 36 Meter hohen Wachturms war zwei Quadratmeter groß. Ein Tisch mit einer Umgebungskarte, ein Telefon und ein Stuhl standen darin. „Eine Stulle und eine Thermoskanne mit Kaffee hab ich nach oben mitgenommen.“ Schmitt war dabei, als Ende der 70er-Jahre der zweite Feuerwachturm gebaut wurde. Die neue Stahlkonstruktion ersetzte den alten maroden Wachturm aus Holz aus den 50er-Jahren.

Wer über den Baumkronen Wache saß, musste schwindelfrei sein, erinnert sich Schmitt. Sobald der Wind über den Wietkiekenberg blies, schwankte die Kanzel. Schmitt machte das sanfte Geschaukel nichts aus: „Ich hab eine Ausbildung als Zapfenpflücker“, sagt er stolz. Schmitt lernte, Tannen, Kiefern oder Fichten hinaufzuklettern, um die reifen Zapfen der Bäume zu ernten. Ihre Baumsamen wurden in der Forst als Saatgut verwendet.

Seit Jahren plant die Gemeinde auf dem Wietkiekenberg eine Aussichtsplattform. „Als der Antrag für den Betonmast vor zwei Jahren im Bauausschuss vorlag, kam die Idee auf, daraus mehr zu machen“, sagt Bauamtschefin Murin. Dass ein Funkmast mit Antennen und Kameras künftig auf dem kleinen Berg stehen sollte, stieß auf Kritik im Ort. „Wir sagten uns damals, wenn wir schon einen nicht so attraktiven Mast bekommen, wollen wir wenigstens etwas davon haben.“

Nach langen Gesprächen mit dem Zentraldienst der Polizei – den Mast hat das Innenministerium bauen lassen – sei man sich einig geworden. „Durch die Plattform mussten das Fundament und die Statik ganz anders berechnet werden“, so Murin. Auf dem neuen Aussichtspunkt könnten künftig rund 20 Personen gleichzeitig das Panorama genießen. Die Kosten für das Großprojekt in Ferch belaufen sich auf 180 000 Euro. Das Land fördert davon 113 000 Euro, so Murin.

Was künftig Ausflügler begeistern wird, gehörte für Waldarbeiter Schmitt zum Alltag. Jeden Morgen das gleiche Panorama: Sein Blick fiel auf die Phöbener Berge, das Werderaner Wohngebiet „Jugendhöhe“ oder das Schloss Sanssouci. „Die ersten zwei Tage ist das spannend, nach dem dritten Tag kennt man jeden Baum.“ Schmitt richtete seinen Blick auf andere Dinge. „Es war schwierig, die Staubwolken der Mähdrescher nicht mit Rauchwolken zu verwechseln.“ Und wenn in der Fercher Wildschweinbäckerei der Ofen angeschmissen wurde, half nur ein kurzer Anruf, um Fehlalarm zu vermeiden.

Wer künftig den Weitblick genießen möchte, muss sich die Aussicht verdienen. Mit dem Auto kommt niemand zum Wietkiekenberg, der mitten im Wald liegt (siehe Grafik). Nur zu Fuß oder per Rad ist die Erhebung zu erreichen. Als Ausgangspunkte eignen sich laut Bauamtschefin Murin der Bahnhof Ferch-Lienewitz oder die Caputher Flottstelle. „Je nach Startpunkt braucht man zum Wietkiekenberg zwischen 15 und 60 Minuten“, sagt Bauamtschefin Murin.

Den Weg zum Wietkiekenberg scheuten übrigens auch russische Soldaten zu DDR–Zeiten nicht. Einmal pro Monat kamen sie für ein bis zwei Tage bei ihm oben auf dem Berg vorbei, erinnert sich Waldmitarbeiter Schmitt. Er bekam dann immer frei, niemand durfte auf den Berg. „Die stellten da oben ihr großes Ohr auf“, sagt er und lacht. Was die Amerikaner im Berliner Westen auf dem Teufelsberg konnten, habe man im Osten auch gemacht. Aber wohl nur temporär – „nach spätestens zwei Tagen waren sie wieder weg, unsere Arbeit ging weiter.“

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