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Potsdam-Mittelmark: Bleistiftbilder von der Basis

Joachim Scheel zeichnete über Wochen Szenen Kleinmachnower Politiker und hat noch mehr vor

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Region Teltow - Ach, lebendige Demokratie, sagt Joachim Scheel und winkt enttäuscht ab. Davon hatte sich der Potsdamer in Kleinmachnow wirklich mehr versprochen: „Da ruft keiner dazwischen“, zischt der Künstler und ballt sogleich selbst die Fäuste. „Da geht keiner dem anderen an den Kragen“, sagt er. Ein bisschen enttäuscht sei er deshalb schon. „Da ist viel gebremste Emotionalität im Spiel.“ Das macht es schwierig für den Künstler. Aber nicht unmöglich.

Politik statt Landschaftsbilder: Der 64-jährige Potsdamer Joachim Scheel hat es sich in den vergangenen drei Monaten zur Aufgabe gemacht, Szenen aus der Kommunalpolitik mit Stift und Papier einzufangen. Gemeinsam mit seiner Kleinmachnower Künstlerfreundin Angela Kranig begleitete er dazu Ausschusssitzungen und Gemeindevertreterversammlungen im Kleinmachnower Rathaus. Ähnlich wie ein Gerichtszeichner saßen die beiden Maler mit ihrem Arbeitswerkzeug in den Reihen des Publikums und verfolgten mal spannende, mal langatmige Diskussionen um neue Schul- oder Kirchbauten oder um hochmoderne DNA-Farbe, die Diebe künftig überführen soll.

Entstanden ist ein ganzer Katalog an Bleistiftskizzen, die nun in den kommenden Wochen auf Leinwand gebannt und anschließend in der Region ausgestellt werden sollen, am besten im Rathaus. Impressionen aus der Kommunalpolitik, sagt Scheel. Von ganz unten, von der Basis. Dort, wo Politiker ihr Geld noch nicht ausschließlich mit der Politik verdienen. Das wollte er einfangen.

„Ich wollte wissen, was das für Menschen sind, die in der Gemeindevertretung sitzen“, sagt Scheel. Für ihn waren die Sitzungen Neuland. Gestoßen ist er dort auf viel Normalität, aber auch Langeweile. In Kleinmachnow seien es meist reife Herren mit Bart und lichtem Haar, die im Rathaus ihre Zeit verbringen. Seltener sind es Frauen. Junge Menschen hat er kaum entdeckt. Die Politiker, die Scheel gezeichnet hat, sind oft in nachdenklichen Posen verewigt. Sie blicken auf ihre Unterlagen oder auf ihre Fußspitzen am Boden. Andere kneten ihre Hände, blättern in der Zeitung oder wedeln sich in der Sommerhitze mit einem Stück Papier Luft zu. Namen hat der Künstler außen vor gelassen. Charakterköpfe erkennt man aber wieder.

„Viele Politiker wollen sich bei jeder Gelegenheit präsentieren“, sagt Scheel. Sie schneiden rote Bänder durch und lächeln in die Kameras. In ihrem eigentlichen politischem Wirkungsfeld hingegen sitzen sie nahezu unbeobachtet in den Ausschuss- oder Gemeindevertretersitzungen – das Publikum auf Abstand. Weit entfernt stehen in Kleinmachnow die Stühle für Besucher. Ein Problem für den Künstler, der nicht nur Hinterköpfe zeichnen wollte. Der Versuch, den Politikern näher zu kommen, wurde abgewiesen. „Ich habe gefragt, ob ich mich etwas dichter heran setzen kann.“ Keine Chance.

„Das Ganze war eine ganz schöne Herausforderung“, sagt Scheel. Aber Personen schnell zu zeichnen, Stimmungen mit wenigen Strichen einfangen zu können, darauf ist der Potsdamer spezialisiert. Seit mehreren Jahren ist der Kulturwissenschaftler als freiberuflicher Künstler tätig. Scheel stellt unter anderem auch Ausstellungen zusammen oder verwaltet Nachlässe, in denen sich ostdeutsche Kunst befindet. Zu DDR-Zeiten war er daran beteiligt, in Potsdam und Berlin Kunstsammlungen aufzubauen.

Frühestens im Herbst sollen seine Bilder zu sehen sein. Auch in Stahnsdorf und womöglich auch in Teltow wollen Scheel und seine Begleiterin Angela Kranig in der Kommunalpolitik noch auf Bildersuche gehen. Zwei Dinge haben sie in ihren Bildern nicht berücksichtigt: Parteizugehörigkeit und Hierarchie. So findet sich Kleinmachnows Bürgermeister Michael Grubert nicht unter den Gemalten. Zu uninteressant schien den Künstlern der Typ glattrasierter Berufspolitiker. Aber das kann sich mit ein paar Tagen Rasierpause ändern. Tobias Reichelt

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