Potsdam-Mittelmark: Chlor in der Nase
Giftanschläge am Seeufer haben die Gemeinde Groß Glienicke aufgewühlt / Immer noch viele Fragen offen
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Giftanschläge am Seeufer haben die Gemeinde Groß Glienicke aufgewühlt / Immer noch viele Fragen offen Groß Glienicke. „Immer der Nase nach“, ruft die Radfahrerin auf der Seepromenade in Groß Glienicke. „Die Giftstelle ist nicht zu verfehlen.“ Eine Frau aus dem ersten Stock eines Reihenhauses hatte die Frage nach dem abgesperrten Uferstreifen am Groß Glienicker gehört und liefert eine genauere Ortsbeschreibung. „Hinter den neuen Villen über das große freie Grundstück nach rechts zum See.“ Kein Zweifel, die zweifache Attacke mit hochgiftigen Substanzen auf mehrere Bäume am Ufer ist nach wie vor das wichtigste Gesprächsthema in der Gemeinde, die bald zur Landeshauptstadt Potsdam gehören wird . Besonders durch das mittlerweile aufgehobene einwöchige Badeverbot bei hochsommerlichen Temperaturen hat sich viel Wut auf die nach wie vor unbekannten Täter angestaut. Doch nicht nur deshalb sind die Einwohner sauer und erbost. „Die Fachleute kommen doch mit immer neuen Hiobsbotschaften“, schimpft Paul Erhardt, der auf dem alten Postenweg der DDR-Grenztruppen seinen Hund ausführt. „Jetzt ist sogar vom Seveso-Gift die Rede. Wer weiß, was da noch auf uns zukommt.“ Der etwa 30 Meter lange Uferbereich, auf dem der oder die Täter Ende Juli das erste Mal und vor einigen Tagen zum zweiten Mal giftige Chemikalien verkippt hatten, ist vom Eigentümer vorsorglich mit rot-weißem Flatterband abgesperrt worden. Das Bundesvermögensamt hat zusätzlich Schilder aufgestellt, die das Betreten und das Befahren verbieten. Bei der Abtragung des verseuchten Bodens mussten auch einige Bäume gefällt werden. Die Bundesbehörde war nach der deutschen Einheit an die Flächen gekommen, als auch in dem Berliner Vorort die Mauer fiel. Am anderen See-Ufer liegt Gatow. Obwohl das Landratsamt schon vor einigen Tagen insgesamt 40 Kubikmeter des vergifteten Boden abtragen ließ, steigt noch immer ein seltsamer Geruch in die Nase. Bernhard Wronski vom Landesumweltamt bestätigt die heftige Wahrnehmung des Geruchsorgans. „Die Menschen reagieren bei Chlorophenylen sehr sensibel“, sagt der Experte. „Und bei dem abgekippten Giftcocktail handelt es sich um Herbizide, die recht penetrant stinken.“ Er liefert gleich noch die Fachbezeichnung für das gefundene Dioxin: „2,4,5T“. Die Recherche im Internet liefert die erschreckende Erklärung: Die Substanz wurde als „Agent Orange“ von den Amerikanern im Vietnam-Krieg als Entlaubungsmittel eingesetzt. Menschen, die damit in Berührung kamen, erlitten teilweise erhebliche gesundheitliche Schäden. „So eine Gefahr besteht am Groß Glienicker See aber nicht“, versichert Wronski. Dafür seien die Konzentrationen zu gering gewesen. Für die meisten Einwohner, die immer wieder an den Ort des Geschehens eilen, steht der Grund für die Freveltaten fest. Hier habe sich jemand freien Blick zum See schaffen wollen, heißt es. „Die meisten Bäume überleben jedoch das Entlaubungsmittel, da es nur an die Wurzel geschüttet wurde“, sagt indes Bernhard Wronski vom Brandenburgischen Landesumweltamt. Das beruhigt die Menschen wenig. „Vielleicht kommt ja irgendwann ein Hubschrauber und lässt das Gift herunterrieseln“, mutmaßt Harry Geyer aus dem benachbarten Berlin. Die Polizei ist ratlos und ermittelt in „alle Richtungen“, wie es vieldeutig heißt. Im Landesumweltamt werden nun „dringend“ die Ergebnisse der aktuellen Untersuchungen auf Dioxin–Belastsung der Uferzone erwartet, wie Bernhard Wronski mitteilte. Die neuen Bodenproben waren in der vergangenen Woche nach dem Abtragen der besonders kontaminierten Erdschichten genommen werden. Bevor die Analyse nicht vorliegt, kann am Groß-Glienicker See keine Entwarnung gegeben werden. Die derzeitigen Absperrmaßnahmen mit Flatterband hält der zuständige Mitarbeiter des Kreisumweltamtes, Bernd Rockstroh, für „verhältnismäßig“, da keine akute Gefahr für Leib und Leben bestehe. ste/ldg
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