
© Eva Schmid
Potsdam-Mittelmark: „Da steckt der Zeitgeist drin“
Die in der Region einmalige Bücherbox in Michendorf trifft einen Nerv
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Michendorf - Wo treffen wir uns? An der roten Telefonzelle! Der Klassiker aus England, die rote Telefonkabine, steht seit einem guten halben Jahr in der Langerwischer Straße in Michendorf. Wer vor der Kabine auf sein Date, seine Oma oder Freunde wartet, kann sich die Zeit beim Stöbern verkürzen. Von der Decke bis zum Boden ist das Telefonhäuschen mit über 250 Büchern, Zeitschriften, CDs und Filmen prall gefüllt.
Michendorfs erste öffentliche Bücherbox, die seit sieben Monaten vor dem Sankt-Georgshaus steht, läuft immer besser: „Es schwappt hier fast schon über“, sagt die 60-jährige Marion Rosenthal mit einem Lachen. Sie hatte die Zellenidee. Das Prinzip: „Nimm ein Buch und gib ein Buch.“ Erlaubt sei aber auch, nur zu nehmen oder zu geben. Derzeit werde mehr in die Holzregale hineingestellt als herausgeholt – alte, vergilbte Bücher sucht man vergeblich.
Zweimal pro Woche ordnet die Langerwischer Erzieherin ihre öffentliche Bibliothek neu. Mit einer Lesebrille schaut sie sich kritisch alles an. „Die Bücher müssen ein ansprechendes Cover haben oder einen bekannten Verfasser oder Verlag“, erklärt Marion Rosenthal ihre Kriterien. Ihr Finger stoppt an einem Buchrücken, sie zieht das kleine Buch heraus und lehnt sich an den Türrahmen. Kritisch wird herumblättert: Braune Seiten, 70er-Jahre-Stil, der Titel: „Flimmernde Steppe“. Ein Ladenhüter. Nein, gegen alte Bücher habe sie nichts, sagt Marion Rosenthal. Aber es müssten Klassiker sein. Sie zieht Christa Wolfs „Der geteilte Himmel“ hervor. „Ein Filetstück.“
Schon beim ersten Blick auf die vielen Buchrücken wird klar, dass in der Michendorfer Bücherbox kein Ramsch liegt. Neben dem Roman „Monsieur Ibrahim“ und den „Blumen des Koran“ von Éric-Emmanuel Schmitt steht Christiane F.s Story der „Kinder vom Bahnhof Zoo“. Zwei Reihen weiter der Klassiker von Philippe Dijon, „Betty Blue“, daneben der Bestseller der ehemaligen Sternredakteurin Ildikó von Kürthy, „Mondscheintarif“. Dann gibt es noch viele Krimis, auch Ratgeber, wie man sich richtig bewirbt und dicke Wirtschaftslexika.
„Hier steckt der Zeitgeist drin“, sagt Marion Rosenthal. Menschen tauschten heute lieber als zu kaufen. Der gedrosselte Konsum habe ökologische, aber auch finanzielle Gründe. Und wer sein Bücherregal ausmisten will, schmeißt Literatur nicht einfach weg. „Da schmerzt einem das Herz, wenn man Bücher ins Altpapier schmeißt.“ Die Qualität habe sich mit der Zeit gewandelt. Als die Bücherbox Anfang April eröffnete, sei noch viel entsorgt worden. „Mittlerweile werden meist nur noch zwei bis drei Jahre alte Bücher eingestellt.“
Den Wunsch nach einer Tauschbox hatte Marion Rosenthal schon lange. In einer Zeitung hatte sie von einem ähnlichen Projekt gelesen und sich mit ihrer Idee an den Michendorfer Kulturbund gewandt. Dort ist sie für ihre Tauschaktivitäten bekannt. Seit 2009 organisiert sie regelmäßig einen Frauenkleidertausch und einen Pflanzentausch.
Der Kulturbund startete einen öffentlichen Aufruf und begab sich auf die Suche nach einer geeigneten Box. Gemeldet hatte sich die auf Kommunikationstechnik spezialisierte Potsdamer Firma Nacom. Die hatten offenbar keine Verwendung mehr für die Telefonzelle, die ihnen Briten noch zu DDR-Zeiten vermacht hatten. Den Transport der schweren Zelle übernahm eine Potsdamer Kabelbaufirma.
Probleme gab es bisher keine: „Die Tür steht immer und für alle offen“, sagt Marion Rosenthal. Dadurch würden potenzielle Vandalen das Interesse am Zerstören verlieren. „Ich denke, das ist ein schweigsames Gesetz der Toleranz, dass hier alles so bleibt, wie es ist.“ Ursprünglich wollte sie die Telefonzelle vor dem Bahnhof aufstellen lassen. „Zum Glück bin ich von der Idee wieder abgekommen.“ Jetzt steht der rote Kasten geschützt vor dem Sankt-Georgshaus.
Über ihre Leser weiß Marion Rosenthal wenig. An dem wechselnden Angebot kann sie erkennen, dass ihre Bücherbox junge wie ältere Menschen anspricht. Ab und an, wenn sie gerade mal wieder nach dem Rechten sieht, kommt jemand vorbei und erzählt ihr, was für eine gute Idee sie doch hatte. Ja, ihre Box, die habe sie sehr ins Herz geschlossen, sagt Marion Rosenthal mit einem Strahlen. „Jetzt fehlt nur noch ein englischer Doppeldeckerbus daneben – den könnten wir hier in Michendorf auch noch voll kriegen.“ Eva Schmid
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