Von Henry Klix: Damit das Feuer nicht erlischt
Seit 20 Jahren begleitet Jürgen Wackermann die Glindower Ziegelei durch alle Umbrüche – heute wird er 65
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Werder (Havel) - Jürgen Wackermann sieht Potsdam mit den Augen eines Zieglers: An den Gebäuden des Babelsberger Parks, der Garde-Ulanenkaserne, an all den Seevillen, dem rbb-Rundfunkarchiv und natürlich im Holländischen Viertel – überall Glindower Ziegel. Hier, in der Mittelstraße, hat alles angefangen, erinnert sich der Geschäftsführer der Glindower Ziegelmanfaktur. Seit 20 Jahren sorgt er dafür, dass das Feuer im Hoffmannschen Ringofen nicht erlischt. Heute wird Jürgen Wackermann 65 Jahre alt.
Er war in jenem Mai 1990 erst seit ein paar Wochen Betriebsleiter der Glindower Tonwarenfabrik, sah nach all den Stornierungen von Rostock bis Karl-Marx-Stadt keine Zukunft mehr für die Produktion von Blumentöpfen, auf die sich der Volkseigene Betrieb mit seinen damals 50 Leuten spezialisiert hatte. Da fragten die Berliner Architekten Herzberg und Veustens, ob er auch Handstrichziegel zur Rekonstruktion im Holländischen Viertel liefern könnte. „Wären sie nicht nach vier Wochen nochmal gekommen, hätte ich das für einen Scherz gehalten“, so Wackermann. Doch dann legte er los. In kürzester Zeit besorgte und baute er Maschinen, holte sich Experten ran und belas sich in der Fachliteratur – und bei Fontane. Im Herbst 1990 wurden die ersten Steine ins Holländische Viertel geliefert.
Wackermann wirkt kantig mit seiner langen Narbe auf der Stirn, sein Lächeln bekommt erst, wer ihn etwas länger kennt. Doch wer ihn mit Ammon, seinem weißen, riesigen Hirtenhund auf dem Betriebsgelände sieht, weiß sofort, das er seinen Ansprechpartner gefunden hat. Dabei ist er nicht der „waschechte Ziegler“, für den ihn viele seiner Kollegen halten. Wackermann nennt sich selbst Autodidakt, und er tut es inzwischen mit Stolz: Nach 25 Jahren als NVA-Offizier im Kfz-Wesen war der gebürtige Anhaltiner ab 1988 im Potsdamer Bezirkswirtschaftsrat tätig, wechselte 1990 als Kraftfahrer in die Potsdamer Brauerei, als er den rasanten Bedeutungsverlust der Verwaltung registrierte. Schließlich wurde er gefragt, ob er nach der Trennung vom alten Betriebsleiter nicht die Glindower Ziegelei übernehmen will. Vieles lag dort damals im Argen. Und viele Kämpfe standen bevor.
Wackermann erinnert sich an die Zeit des Umbruchs als Hürdenlauf: Nach der Umwandlung in die GmbH musste die Treuhand Monat für Monat überzeugt werden, dass die Firma überlebensfähig ist. 1994 übernahm der Berliner Baumogul Penz den Betrieb, gliederte ihn an seine Magdeburger Hochbau AG an, die im Herbst 2003 Insolvenz anmelden musste. Wieder überlebte die Ziegelei dank Jürgen Wackermann, der mit dem Potsdamer Unternehmer Harald Dieckmann einen Käufer fand und den Ofen im Frühjahr 2005 mit knapp 20 Leuten wieder anfeuerte. Heute besitzt Wackermann ein paar Geschäftsanteile, doch „es war für mich die ganze Zeit, als wenn das meine Firma ist“. Auch als es darum ging, neben Ziegeln auch Formsteine und Bodenplatten mit alten Mustern zu brennen und als die Denkmalpfleger nach Sonderanfertigungen, Rosetten und Zierleisten fragten.
„Ich bin Techniker, ich kann schnell umsetzen, wenn ich einmal was gesehen habe“, sagt er. Und zugeschaut hat er in den Anfangsjahren reichlich, reiste bis nach Holland, um die Raffinessen des alten Handwerks kennenzulernen. Die Schlosskirche von Neustrelitz sollte 1992 der erste Großauftrag werden, viele sollten folgen, vom Pulverturm in Angermünde bis zur Burg in Ziesar.
Glindower Ziegel sind nicht einfach rot oder gelb: Dank Kohlebrand entstehen Setzmarken und Farbverläufe, die Oberflächenstruktur sorgt für lebhafte Fassaden. „Das kann man industriell nicht hinbekommen, auch nicht mit Chemie“, sagt Wackermann. Und deshalb habe der alte Ringofen am Glindowsee, auch wenn man Ziegel billiger herstellen kann, seine Daseinsberechtigung. Von der Traditionspflege allein, auch das hat Wackermann gelernt, kann die Ziegelei nicht leben: Mit der Berliner Weberbank war sie schon vor 18 Jahren erstmals an einem modernen Neubau beteiligt. Und vor drei Jahren ist man auch vor einem Auftrag aus Dänemark nicht zurückgeschreckt: platinglasierte, pyramidenförmige Formsteine für einen Universitätsneubau in Sønderborg, die kunstvoll zu einer Spiegelwand gefügt wurden. „Wir machen inzwischen alles.“ Mit Lutz Wegener arbeitet er seinen Nachfolger ein, Ende des Jahres will Wackermann langsam aussteigen. Ganz von seiner Ziegelei lassen – das kann er sicher nicht.
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