
© J. Bergmann
Kleinmachnow: Der Brillenspender
Andere geben Kleider, Räder oder ihre Zeit. Der Kleinmachnower Optiker Martin Carstens gibt Flüchtlingen das, womit er sich auskennt.
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Kleinmachnow – Es ist eine ungewöhnliche Spende, die Martin Carstens Flüchtlingen macht. Doch für ihn, der sechs Tage in seinem Optikergeschäft in Kleinmachnow steht, die einzige Möglichkeit, zu helfen. Seit vergangenem Herbst sind über 25 Flüchtlinge aus den Nachbarkommunen zu ihm gekommen, viele von ihnen hatten nach dem Besuch zum ersten Mal überhaupt erst richtig scharf sehen können.
Die Probleme mit der Sehkraft seien meist im Deutschkurs festgestellt worden, sagt Carstens. Wenn Kursteilnehmer immer schlechter beim Unterricht mitkamen, war das ein erstes Zeichen. „Die Stirn in Falten, die Augen zusammengekniffen, das fällt dem Lehrer mitunter auf“, sagt der 56-Jährige, der im kommenden Jahr 25 Jahre sein Geschäft in der Hohen Kiefer betreibt. Engagierte Lehrer würden die Flüchtlinge dann zur Kontaktstelle für Flüchtlingshilfe in Kleinmachnow oder zum „Freundeskreis zur Unterstützung der Asylbewerber in Teltow“ schicken. Die wiederum würden die Betroffenen dann an Carstens vermitteln.
Keine Zeit für viel Papierkram
Er selbst will nicht viel Aufhebens machen, um das was er als Spende anbietet. Er ist zurückhaltend, zuvorkommend. Sehen sei wichtig, Sehhilfen müssten funktional sein. Es gehe nicht darum, mit einer modernen Brille auf der Nase herumzulaufen. Dennoch will Carstens den Schutzsuchenden nicht irgendein Kassenmodell vorsetzen. Bestehe Bedarf an einer Brille, „dann gibt es schon eine Auswahl“, sagt der Optiker. Rund 600 Brillen hat er im Angebot, unter 20 bis 30 dürften sich die Flüchtlinge das passende Gestell aussuchen. „Es sind Brillen ohne Luxuswert, die ihre Funktion erfüllen, aber trotzdem modischen Gesichtspunkten entsprechen“, sagt Carstens. Wer seine Brille hässlich findet, setzt sie ungern auf – so einfach ist das.
Auf die Frage, ob die Kasse da nicht was übernehmen würde, zuckt Carstens mit den Schultern. Der Optiker kennt die Regelungen der Kassen zu Sehhilfen für asylsuchende Menschen nicht. Er befürchtet, dass das viel Papierkram sei, auch dafür habe er viel zu wenig Zeit.
Viele Flüchtlinge wissen nicht, was sie beim Optiker erwartet
Wenn Menschen aus Syrien oder Afghanistan sein Geschäft betreten, „dann sind die Reaktionen anfangs verhalten“, sagt der Optiker. Das liege auch daran, dass viele gar nicht wissen, dass es die Brillen, sofern denn überhaupt Bedarf besteht, umsonst gibt. Nicht alle, betont Carstens, brauchen auch eine neue Sehhilfe. „Manchen habe ich nach der Messung geraten, zum Augenarzt zu gehen, bei manchen waren die Augen aber gesund, das schlechte Sehen muss an etwas anderem gelegen haben.“
Dass viele seiner ausländischen Kunden anfangs so verhalten sind, kann der Optiker gut verstehen. Viele von ihnen würden nicht wissen, was auf sie zukomme. Die Arbeitsweise und vor allem der Arbeitsplatz eines deutschen Optikers unterschieden sich dann doch erheblich von zum Beispiel der eines marokkanischen Kollegen. Carstens war vor Jahren mit einem Team von Optikern und Augenärzten in Marokko unterwegs, um die Beduinen, die Wüstenbewohner, mit Brillen auszustatten. Dort habe er gesehen, dass unter anderem auch auf Märkten die Sehkraft gemessen und Brillen angepasst werden. „Natürlich gibt es dort auch Augenärzte mit Praxen, aber das können sich nicht alle leisten.“
Neues 3D-Messgerät liefert präzisere Ergebnisse
Wenn es in das Hinterzimmer des Optikladens geht, dann nimmt sich Carstens Zeit. Er erklärt, wie die Untersuchung vonstattengeht. Auch seinen deutschen Kunden muss er das seit Kurzem ausführlicher erklären, da er ein neues 3D-Messgerät hat, das futuristisch wirkt und für das man wie im Kino eine 3D-Brille aufsetzen muss. „Der Vorteil daran ist, dass mit dieser Methode beide Augen gleichzeitig vermessen werden können“, so Carstens. Das führt zu präziseren Ergebnissen.
Ganz wichtig ist die Kommunikation. Auch die Dolmetscher müssen bei ihrer Arbeit im Brillengeschäft etwas beachten. „Sie sollen genau das übersetzen, was auch gesagt wird“, sagt Carstens. Oft sei schon das Problem gewesen, dass Carstens während der Untersuchung feststellte, dass das, was sein Hightech-Gerät anzeigte, und das, was der Flüchtling auf den Bildern an der Wand erkannte, so nicht sein konnte.
Carstens schmunzelt, es habe beim ersten Mal eine ganze Weile gedauert, bis er dem Fehler auf die Schliche kam. „Es war der Übersetzer, er hatte das, was der Flüchtling falsch erkannte, mir richtig übersetzt.“ Wieso der Dolmetscher das machte, darüber kann Carstens nur spekulieren – vermutlich, um seinen Landsmann nicht in schlechtem Licht dastehen zu lassen.
Man merkt, dass es diese kleinen Geschichten sind, die Carstens an seinem ehrenamtlichen Engagement Spaß machen. Er wünscht sich auch, dass mehr seiner Kollegen so etwas anbieten würden – ohne Gegenleistung. Entlohnt werde seine Arbeit durch das breite Grinsen der Flüchtlinge am Ende der Beratung: „Wenn sie zum ersten Mal die Brille aufsetzen und feststellen, dass sie jetzt erst gut sehen.“
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