Von Thomas Lähns: Der erste Urlaub im Leben
Kinder aus bedürftigen Familien verbringen eine Woche im Inselparadies Petzow / Bedürftigkeit steigt
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Werder (Havel) - Die Euphorie kennt kaum Grenzen: Laut juchzend tobt ein gutes Duzend Kinder über den grünen Rasen im Inselparadies. Sie singen, spielen Fangen und sind sichtlich unbeschwert – vielleicht das erste Mal in ihrem noch jungen Leben. Denn zu Hause muss jeder Cent zweimal umgedreht werden. „Viele von ihnen sind noch nie in Urlaub gefahren, weil die Eltern es sich einfach nicht leisten können“, erzählt Martina Müller. Sie leitet die Tee- und Wärmestube in Werder und kennt die Geschichte von jedem einzelnen der Kinder. Das Geld zuhause reicht oft nicht einmal für das Nötigste wie Schuhe oder Essen. Stattdessen sind die Familien auf Lebensmittel- und Kleiderspenden angewiesen. Knapp 3 000 Menschen sind es mittlerweile in Werder, jede Woche kommen laut Müller fünf weitere Familien dazu.
Einmal im Jahr organisiert die Tee- und Wärmestube eine Woche Ferien für eine Handvoll Kinder aus bedürftigen Familien in Petzow - unterstützt von Sponsoren wie dem Lions-Club oder dem Inselparadies selbst. In diesem Jahr hat auch Axel Hilpert, Leiter des Resort Schwielowsee, zum Scheckbuch gegriffen – und versprochen, das Ferienlager auch in Zukunft zu unterstützen. „Es ist wichtig, dass Leute, denen es besser geht, sich engagieren“, sagt er. In der Tee- und Wärmestube finanziert Hilpert zusammen mit dem Möbel-Konzern Porta eine Personalstelle, will für die diakonische Einrichtung um weitere Sponsoren werben. Die Kinder wolle er ein Stück begleiten und im Resort Schwielowsee Ausbildungsplätze als Hotel- und Tourismusfachleute, Köche oder Kellner zur Verfügung stellen.
Anfangs noch etwas auf Distanz, wird der Unternehmer bald von den 6- bis 13-Jährigen umringt. Die Kleinen erzählen, dass im Inselparadies heute „Space-Day“ – zu deutsch: Weltraum-Tag – ist, und dass sie von hier aus das All erkunden werden. Überall auf dem Gelände sind Stationen aufgebaut, an denen es Spiele rund um das Thema Weltraum gibt. Eine Wandzeitung haben die Kinder bereits im Vorfeld angefertigt und ihre Erwartungen hier aufgeschrieben. Sie soll einen Platz im Resort bekommen.
Unterdessen haben sich die Ränge an der Freilichtbühne am Ufer des Glindowsees gefüllt. Hunderte anderer Kinder warten bereits, dass der „Space-Day“ endlich losgeht. Ein Animateur tritt als futuristischer „Imperator“ auf. Mit Sonnenbrille und langem Ledermantel bekleidet ruft er ihnen Losungen zu und erhält im Chor die passenden Antworten. Dadurch wächst das Gemeinschaftsgefühl – auch bei den sozial benachteiligten Kindern.
Dabei ist es auch den Eltern zu verdanken, dass sie hier sind, denn die haben die Hilfe angenommen. „Für die Familien ist es ein schwerer Schritt zu sagen: Wir sind bedürftig", erzählt Martina Müller. Dass der Bedarf nach Hilfe steigt, sieht sie mit Sorge, denn die Möglichkeiten der Tee- und Wärmestube sind begrenzt. Im Februar dieses Jahres musste Müller Bedürftige wieder nach Hause schicken, ohne Lebensmittel – ein Novum in der siebenjährigen Geschichte der Werderaner Tafel (PNN berichteten). Deshalb wird auch von anderer Seite angesetzt: Mit Beratungsstunden, wie man ein Haushaltsbuch führt und mit den geringen Mitteln halbwegs zurande kommt. Dass dadurch ein Urlaub mit der ganzen Familie bezahlbar wird, ist jedoch unwahrscheinlich.
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