Potsdam-Mittelmark: Der Geschmack von Regen
Flüchtlingskinder aus der Sahara sind für zwei Tage zu Besuch in Teltow. Vieles hier ist für sie neu
Stand:
Flüchtlingskinder aus der Sahara sind für zwei Tage zu Besuch in Teltow. Vieles hier ist für sie neu Von Kirsten Graulich Teltow – Wie eine 12-Jährige sieht Fatama aus, doch das schmale Mädchen mit den großen Augen ist 15. Vor drei Wochen kam sie mit 17 andern Kindern aus der Westsahara nach Deutschland, um hier ihre Ferien zu verbringen. Eingeladen wurden sie vom thüringischen Verein „Salma" und der Europaabgeordneten Margot Keßler, die mit dieser Ferienaktion die humanitäre Situation für die Kinder verbessern möchten, die in einem Flüchtlingslager nahe der Wüstenstadt Tindouf leben. Fatama ist in dem Lager geboren, in dem alle Bewohner in Zelten wohnen. Nie zuvor hat sie Häuser aus Steinen gesehen und die meisten Pflanzen und Tiere hier nur in Büchern. Von zu Hause kennt sie Schafe und Kamele. In Deutschland hat sie zum ersten Mal einen Wald gesehen. Als ein Hase vorbeihoppelte, erschraken die Kinder. Für zwei Tage sind sie nun in Teltow, der Kontakt kam über die französische Partnerstadt Gonfreville zustande. Gestern empfing Bürgermeister Thomas Schmidt die jungen Gäste in der Kita „Käferland", wo sie untergebracht sind. Ihr größter Wunsch ist ein Besuch im Zoo. Als Schmidt Ponyreiten und das Streicheln von Kaninchen in Aussicht stellte, glänzten die Augen der Kinder. Dolmetscher Jamal Zakiri berichtete, wie sie in Deutschland das erste Mal von einem Regenguss überrascht wurden. Alle Kinder hätten die Hälse gereckt und den Mund weit aufgehalten, um endlich zu erfahren, wie Regen schmeckt. Wo sie herkommen sind Temperaturen von 40 bis 50 Grad normal. Ihre Eltern versuchen, in der algerischen Geröllwüste Zwiebeln und Rettiche anzubauen. Mehr können sie dem Boden meist nicht abringen. Die rund 165000 Flüchtlinge, die sich selbst Saharauis nennen, sind auf internationale Hilfe angewiesen. Eine große Errungenschaft für die „Republik im Exil" ist aber, dass die Kinder Schulen und Kindergärten besuchen können. „Wir organisieren unser Überleben und wir sind sehr gut darin", sagt Jamal Zakiri. Gas, Wasser und Nahrungsmittel werden den Menschen zugeteilt. Doch frische vitaminreiche Nahrung gibt es kaum. Diese Unterversorgung führt vor allem bei den Kindern zu gesundheitlichen Problemen. Fatama war ein Jahr lang so krank, dass sie nicht zur Schule gehen konnte. Dabei lernt sie gern, am liebsten würde sie später mal studieren. Strahlend verrät sie dann ihren größten Traum: Kinderärztin werden. Nach Deutschland ist sie aber vor allem gekommen, um sich einem Arzt vorzustellen, denn sie weiß überhaupt nicht, was sie für eine Krankheit hat. Doch der Arzt, der sie untersuchen wollte, musste den Termin verschieben. Er brauchte andere Instrumente, denn Fatama, so stellte er fest, hat den Magen eines kleinen Kindes. Fast alle Kinder aus Flüchtlingslagern würden unter Eisenmangel leiden und wären deshalb oft müde, berichtet Elke Keßler, die vor einiger Zeit selbst eines der Lager besuchte. Seitdem ist sie bemüht die Situation der Saharauis in die deutsche Öffentlichkeit zu bringen. Denn viele wissen gar nicht, dass durch das Land eine Sandmauer verläuft, die ganze Familien trennt. Die einen leben in besetzten Gebieten, andere in Flüchtlingslagern. Auch Fatama kennt einige ihrer Verwandten nur aus Briefen. Die Geschichte der Saharauis ist eine Spätfolge spanischer Kolonialpolitik, nach deren Rückzug das Land 1976 von Marokko besetzt wurde. Staatsrechtlich sei es vergleichbar mit dem Schicksal der Palästinenser, sagt Keßler, nur ein bisschen vergessener als die Palästinenser.
Kirsten Graulich
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: