KulTOUR: Der Kleine Verräter
Comédie Soleil spielt Saint-Exupérys „Der Kleine Prinz“
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Werder (Havel) - Zwischen dem Entschluss, etwas Liebens- und Beschützenswertes im Stich zu lassen und einem zweiten, zurückzukehren, um endlich Verantwortung für das Verlassene zu übernehmen, muss ein kolossaler Lernprozess liegen. Diesen Moment zwischen Nein und Ja beschrieb der berühmte Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry 1944 in seinem zauberhaften Buch „Der Kleine Prinz“, bevor er in der Wüste Sahara verscholl. Leider wird man nie erfahren, ob auch er dort jenem „Kerlchen“ begegnet ist, wie der havarierte Pilot im Buch.
Von Regisseur Michael Klemm in eine mehr oder weniger dramatische Fassung gebracht, ist dieses Buch die Grundlage für die bereits vierte Inszenierung der Werderaner „Comédie Soleil“ seit der Eröffnung Anfang November, Respekt. Stern- und Wüstenprojektionen bestimmen vom Hintergrund her den Raum, milde Klänge geben den sanften, vielleicht zu harmonischen Ton zu einer Geschichte, die aus unbekannten Gründen (bei Shakespeare wäre das geradezu verboten) immer gleich dargestellt wird: Kleiner Prinz lebt auf Kleinem Planeten, zieht hinaus, um Freunde zu suchen, begegnet unterwegs skurrilen Figuren, purzelt körperhaft auf die Erde, wo er dem Bruchpiloten und etlichen Tieren begegnet. Nach einigen Abenteuern beschließt er die Rückkehr, lässt sich von der Schlange totbeißen und fliegt körperlos davon, hinauf zu seinem Kleinen Planeten B 612 mit Blume und Schaf, und den Vulkanen, die er immer so treu putzt. Warum blieb sein Leib nach solch „rituellem Selbstmord“ eigentlich nicht sichtbar liegen?
Was Bühne und Kostüme (Jens Uwe Behrend, RUDI) betrifft, folgt die Werderaner Fassung dem Autor weitgehend. Die Besonderheit seiner gut hundertminütigen Version besteht in der Besetzung: Lediglich Wuschelkopf Julita Witt (Kleiner Prinz) und der Verwandlungskünstler Felix Sommer (alle übrigen Rollen) bevölkern diese kosmisch-irdische Welt, wobei mit wenigen Griffen umgebaut wird. Was aber Inhalte betrifft, so erklärt sich das alles leider nicht immer, gut beraten, wer das Buch vorher liest.
Während Felix Sommer geradezu Schwerarbeit leistet, genügt dem Kleinen Prinzen, der ja seine verletzbare Blume im Stich ließ und also verriet, die bloße Anwesenheit. Julita Witt zeigte nur zu Beginn einen Hauch Leben, als sie mal mit dem Fuß aufstampfte, sonst tat sie gar nichts – ein Hinweis darauf, dass von ihr so gut keine Vorgänge gespielt worden sind. Lektüre produziert in diesem Fall trotzdem Poesie – die Bühne Dünnblütigkeit und unnötige Längen.
Wo steht denn, dass dieses niedliche Sternenkind so rein und hehr daherkommen muss, dass es kein Tunichtgut, kein Raufbold ist, bei vorgegebener Naivität; wie kann ein abgestürzter Pilot im Sonntagsstaat durch die Wüste stolzieren? Warum addieren sich die Begegnungen in All und bei den Tieren nicht im Kopf des kleinen Verräters, und wo ist der Anfang, da der Pilot sich seiner eigenen Kindheit erinnert, und Hut und Schlange malte?
Felix Sommer verwandelte sich viel und glaubhaft, besonders schön seine Rolle als Blume. Um sie geht es ja schließlich, ihr gilt der irdische Blick des Rüpels gen Himmel, und um ein schlechtes Gewissen im crescendo, weil gerade hier auf Erden so viel über Freundschaft und Treue gelernt werden kann. Blume und Schlange markieren die beiden Seiten in der Geschichte, vom Anfang bis zum Ende. Mehr Vorgänge – mehr Leben!!!
Vorstellungen am 18. und 19.12. um 19.30, am 20.12. 17 Uhr, Eisenbahnstr. 210
Gerold Paul
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