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KulTOUR: Der Künstler beim Mahle

Ein Werkstattbesuch bei Johannes Grützke in der Glindower Ziegelei

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Werder · Glindow - „Grützke ist da! Heute bestimmt, ob morgen noch, kann ich nicht garantieren! Er arbeitet in der Glindower Ziegelei an einem Wandrelief.“ So meldete sich der aus Berlin stammende Werderaner Galerist Manfred Giesler kürzlich bei der Redaktion. Na, nichts wie hin zum berühmten Künstler, Maler, Grafiker, Bildhauer, der auch noch dichtet und seit den Sechzigern in einer Band spielt, besser heute als Morgen!

Gerade hatte der Meister seine Skizze, zwei innigst in üppiger Liebe Umschlungene, per „Küchenrädchen“ auf eine 2,50 mal 1,30 große Tonplatte geradelt, Ton vom Westerwald, aus einer „primären Lagerstätte“. Der Glindower sei verunreinigt, die Vorräte erschöpft, wusste er zu berichten. Obenauf also die Kohleskizze, darunter schnödes Zeitungspapier mit Potsdamer Sport und Andrea Berg, darunter die Pausung, welche anschließend reliefartig ausgearbeitet wird.

Ein Auftragswerk ohne Titel für den Aufgang in einem Berliner Wohnhaus „gleich neben dem Liebermann-Haus“ am Pariser Platz. Da also. Einen Titel („ganz nebensächlich“) könne man ja jederzeit erfinden, meinte Johannes Grützke lakonisch. Das überlasse er aber „seinem Dichter“, womit ein guter Freund gemeint sein mochte.

Obwohl man den Berliner nicht gerade bei der Arbeit störte, schien man doch nicht recht willkommen zu sein. „Wir arbeiten nicht für die Kritiker, sondern für das Leben.“ Ein Künstler, der ohne die Medien auskommt. Die Berliner Nationalgalerie hat ganze Grafikzyklen von ihm gekauft, etliche Bilder, auch in Gieslers Werderaner Insel-Galerie hängen Werke von ihm, viele Selbstporträts darunter.

So staunte man, dass seine Konterfeis mit dem real existierenden Maler so schlecht in Einklang zu bringen sind: Eine spannungsvolle fast hagere Gestalt mit flinken braunen Augen, Kurzhaarschnitt und großer Brille, eine Persönlichkeit halt kurz vor der Siebzig. Als Emeritus („morgen ist auch Vergangenheit“) kann sich der ordentliche Professor schon leisten, über den Titel seines Reliefs, das vor dem Brennen „nach den Linien“ zu einer Art Puzzle zerlegt und glasiert wird, sein ständiges „kann ich nicht sagen“ zu sagen. Zum Wort „Barock“ desgleichen, trotz der üppigen Skizze. Mit dem Französischen scheint er es mehr als mit Englisch zu halten, „Puzzle? Kenne ich nicht!“

Bald schon war Mittagspause. Stilvoll, versteht sich: Ein grünes Handtuch aus dem Auto bildete die Decke, die „Dopingtasche“ mit erlesenen Weinen wurde geöffnet, Servietten, belegte Brote: Weil er die englische Zunge angeblich nicht kennt, sprach er „Sand-Wiches“ halb und halb, die erste Silbe deutsch. Der Künstler beim Mahle war etwas gesprächiger.

Nach dem Gestrigen zu greifen, sei sein Charakterzug, aber „Kunst macht mich fertig!“ Über das Glindower Werk: Man müsse vom Original eine Gipsform machen, denn beim Brennen entstehe zehn Prozent Schwund. Dass dies womöglich nicht so schlimm sei, ließ er nicht gelten: „Wenn da ein Loch ist, fehlt etwas! Unser Konzept ist das Leben.“

Ringsum dröhnte ein Gebläse, die Ziegelei machte ohnehin einen leicht surrealen Eindruck – ob er über diesem Wort auch die taktische Antwort verweigerte? Auf die Frage, wie lange er bleibe, kam der erwartete Satz: „Kann ich nicht sagen, vielleicht gibt es Komplikationen beim Brennen, Platten könnten im Ofen explodieren.“ Dies aber schien absolut sicher – „Grützke war da“, na, wenigstens eine Konstante.

Gerold Paul

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