
© Tobias Reichelt
Stahnsdorf: Der Lärm der Anderen
Seit der Verkehr an Güterfelde vorbeirollt, ist es ruhiger im Ort. Dafür müssen jetzt die Stahnsdorfer leiden.
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Stahnsdorf - Es rauscht und pfeift, es rumpelt und dröhnt – es kommt aus der Ferne, aber ist immer da. „Es ist zum Verzweifeln“, sagt Brigitte Kutsch. Mit verschränkten Armen steht die Stahnsdorferin in ihrem Garten. Der Rasen sieht selbst im Januar aus wie geleckt, die Beete sind akkurat geharkt. Es ist ein Paradies am Feldrand – mit einem Makel: Vor knapp vier Wochen ist in Sichtweite die vierspurige Güterfelder Ortsumfahrung eröffnet worden. Und die ist schrecklich laut.
Seit der Verkehr mit Tempo 100 lautlos an Güterfelde vorbeirauscht, können viele Stahnsdorfer nicht mehr ruhig schlafen. Während die Güterfelder gut geschützt vorm Lärm hinter einer Lärmschutzwand wohnen, bekommen die Stahnsdorfer die volle Dröhnung ab. Der Protest ist mittlerweile so groß, dass sich das Rathaus zum Handeln gezwungen sieht. Eine Anwaltskanzlei soll die alten Baupläne und Lärmprognosen für die neue Schnellstraße zwischen Potsdam und dem BER mit dem tatsächlichen Lärm in den Wohnsiedlungen vergleichen. Das sagte der Stahnsdorfer Bürgermeister Bernd Albers (BfB) den PNN. Ziel sei es, das Land zum Bau weiterer Lärmschutzwände zu zwingen.
„Ich habe auch Ohren“, so Albers. Der Lärm in den Siedlungen habe seit der Eröffnung der Straße deutlich zugenommen. Er geht fest davon aus, dass die Messwerte die Prognosen von einst übertreffen. Das Rathaus will gerichtsfeste Zahlen – für den Fall, dass das Land weitere Schutzmaßnahmen ablehnt.
Genau davon sei derzeit auszugehen, sagte indes Lothar Wiegand, Sprecher des brandenburgischen Verkehrsministeriums. Stahnsdorf habe den gesetzlich vorgeschriebenen Lärmschutz erhalten. Der Planfeststellungsbeschluss zum Bau der neuen Landesstraße sei vor Jahren gerichtlich bestätigt worden, damit auch die zum Teil nur einseitigen Lärmschutzwände. „Wir haben rein rechtlich keine Möglichkeit, für mehr Schutz zu sorgen“, sagte Wiegand.
Selbst wenn es das Land wollte, könnte es nicht ohne Weiteres Geld dafür ausgeben. Einem Gerichtsverfahren rechnet der Sprecher kaum Chancen aus – sogar dann, wenn die Messungen tatsächlich über den Lärmprognosen liegen. Die könne man nicht miteinander vergleichen, da es sich bei den Prognosen im Gegensatz zu den Messungen um Durchschnittswerte handele. „Sich einmal mit dem Mikro auf den Acker stellen, das funktioniert nicht“, so Wiegand.
Trotzdem wollen die Stahnsdorfer nicht klein beigeben. „Wir müssen als Bürger dagegen vorgehen“, sagt Brigitte Kutsch. Die Frau eines Dachdeckers hat ihre Nachbarn mobilisiert – so wie vor 20 Jahren, als es noch um die Baupläne der Güterfelder Ortsumgehung ging. Damals kämpfte sie um eine alternative Streckenführung, weit weg vom Stahnsdorfer Süden. Vergeblich. „Den Lärm kriegen wir jetzt nie wieder ganz weg“, sagt Kutsch. Aber mindern will sie ihn, vielleicht auch durch ein strengeres Tempolimit.
Unterstützung bekommen die Anwohner dabei nicht nur vom Bürgermeister, sondern auch vom Vorsitzenden der Gemeindevertretung, Gerold Maelzer (BfB). „Man kann den Lärm nicht überhören“, sagt Maelzer. „In diesem Ausmaß hat das keiner vermutet.“ Deshalb sollte auch die Gemeindevertretung alle Möglichkeiten prüfen, neue, höhere Lärmschutzwände an der Schnellstraße zu bauen – vor allem auf der Stahnsdorfer Seite. Da dort bislang streckenweise gar keine Schutzwände stehen, werde der Schall von den Wänden auf der anderen Seite regelrecht reflektiert und über den Acker nach Stahnsdorf gelenkt. „Die Belästigung ist erheblich“, sagt Maelzer.
Dabei ist die Umgehungsstraße noch nicht einmal voll befahren, sagt Güterfeldes Ortsbürgermeister Dietrich Huckshold (Wir Vier). Er ist überzeugt: „Der Lärm von heute ist erst die halbe Wahrheit.“ Wenn eines Tages der Großflughafen BER eröffnet ist, könnte der Verkehr auf der Umgehungsstraße zunehmen, sagt Huckshold. Seit die neue Straße eröffnet ist, könnten die Bewohner in seinem Dorf zwar aufatmen. „Auf der Potsdamer Straße ist die große Ruhe ausgebrochen“, berichtet Huckshold. Dennoch will auch er für die Interessen der Stahnsdorfer auf der anderen Seite der Schnellstraße kämpfen. „Auf die Schnelle wird das Problem aber nicht zu lösen sein“, schätzt er.
Auch Brigitte Kutsch weiß, dass es nicht leicht wird. „Mein Mann und ich haben schon in unserem Garten gestanden und überlegt, was wir sonst tun können.“ Doch bis hohe Bäume oder dichte Hecken wachsen und sie vor dem Lärm schützen, kann es Jahre dauern. „Deshalb überlegen wir tatsächlich, die Heimat zu verlassen“, sagt Kutsch. Um woanders ein neues Gartenparadies zu suchen.
„Bürger für Bürger“ lädt am Montag zu einem Stammtisch zum Thema ein. Los geht es um 18.30 Uhr im Restaurant „Taj Mahal“, Potsdamer Allee 109
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