KulTOUR: Der menschliche Einstein
Caputher Ausstellung „Einstein und das Ideal der Demokratie“ mit differenziertem Vortrag eröffnet
Stand:
Schwielowsee - Genie oder Homo politicus? In partnerschaftlicher Ehe mit „Kulturland Brandenburg“ ventilierte der Initiativkreis Albert-Einstein-Haus Caputh am Freitag das hochberühmten „Glaubensbekenntnis“ seines Namensgebers vor Ort. Nach dem Eröffnungsvortrag des Stuttgarter Physikers und Einstein-Biographen Armin Hermann im vollbesetzten Kirch-Gemeindesaal wurde, im Bürgerhaus gegenüber, die Dauer-Ausstellung „Einstein und das Ideal der Demokratie“ eröffnet. Weil er sich auf der Schellackplatte vom September 1932 so offensichtlich zum Ideal dieser Staatsform (inklusive ihrer Nachteile) bekannte, begrüßte Wiebke Frank die zahlreichen Gäste unterm Gemeindedach mit einem wenig gebräuchlichen „Liebe Demokraten!“. Eine Off-Einspielung der Originalscheibe drang ob der Raumakustik nicht durch.
Das Thema des weitgereisten Vortrags hieß „Albert Einstein, homo politicus“. Freilich entwarf der emeritierte Professor kein ganz so glattes Bild des jüdischen Forschers, wie man das weithin kennt: ein Genius mit unkonventionellen Manieren, aber politischem Weitblick. Er lieferte die Differenz zum Genie gleich stillschweigend mit. Unter Einsteins wissenschaftlichen Arbeiten etwa schien ihm die „Einheitliche Feldtheorie“ nicht ganz koscher. Initiativkreis-Chefin Frank kommentierte das erfrischend skeptische Herangehen an diese Geist-Ikone mit den Worten, man suche nach dem realen, dem menschlichen Einstein. Endlich! Dergestalt also erzählte Armin Hermann von dessen Anfängen in der Akademie noch zu Kaisers Zeiten, von Nobelpreis und Weltruhm ab 1919, als er den Sturz der Monarchie begrüßte und gar als „Vorzeige-Sozi“ galt. Nach dem Versailler Diktat setzte sich Einstein als „Reisediplomat“ für die Aussöhnung der ehemaligen Kriegsgegner ein, was ihm daheim viel Feindschaft einbrachte.
Einer seiner Gegner nannte die Relativitätstheorie, wie hübsch, „wissenschaftlichen Dadaismus“. Obwohl der Ulmer noch 1933 in Caputh seine Angstfreiheit beteuerte, wollte er ob des galoppierenden Antisemitismus Deutschland zwischen 1920 und 1923 dreimal verlassen. Durch den Nobelpreis (1921) berühmt, bereiste er die ganze Welt, oft als „Lockvogel und Renommierbonze“, wie er schrieb. Meist aber im Sinne des Kosmopolitismus, was seine Abneigung gegen alles Patriotische und Nationale erklärt.
Sein Faible für das „Ideal der Demokratie“ zog er, laut Caputher Credo, pikanterweise aus Schopenhauers Ansicht über die „Unfreiheit des Willens“. Einstein Selbstdarstellung als Pazifist und Antimilitarist hinderte ihn nicht, Präsident Roosevelt 1939 den Bau der Atombombe zu empfehlen. Für ihn war Hitler mit Pazifismus nicht zu besiegen. Unter den Seinen erntete er viel Tadel dafür. Nach den Abwürfen über japanische Städte erinnerte er sich voller Kummer der persönlich erlebten Freundlichkeit jenes Volkes. Rachegedanken ließen ihn dem Morgenthau-Plan (Nachlesen lohnt) zustimmen. Auch sprach er sich – Kraft seiner Autorität – gegen Lebensmittellieferungen ins besiegte Hungerdeutschland aus. „Emotional hatte er längst mit den Deutschen gebrochen“, schrieb sein Biograph 1994. In den letzten zehn Lebensjahren setzte sich sein Genius für die Abrüstung ein.
Der Vortrag schloss überkreuz: Wie man dereinst Voltaires Kampf gegen Unrecht höher als seine Bücher schätzten werde, so Einsteins politisches Engagement entsprechend Da staunte man erst recht über Capuths neuen Vorzeige-Demokraten, den homo politicus ohne Portefeuille.
Öffnungszeiten der Ausstellung, Straße der Einheit 3, bis Oktober täglich außer montags 11 bis 17 Uhr
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: