Potsdam-Mittelmark: „Der Osterglocken traulich Läuten“
Eine Wanderausstellung zeigt, wie sich der 1. Weltkrieg im Landkreis Zauch-Belzig ausgewirkt hat
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Potsdam-Mittelmark – Erntezeit, jede Hand wird jetzt gebraucht. Doch die Männer ziehen an die Front. August 1914, bald schon hat der Landkreis Zauch-Belzig den ersten Kriegstoten zu beklagen. Paul Hübscher aus Lobbese stirbt am 5. August 1914 an einem Kopfschuss beim Überfall auf Belgien. Dort lassen einen Tag später auch Ernst Stage aus Glindow und Hermann Schulze aus Boßdorf ihr Leben. Allein bis Ende 2014 sterben 250 Männer aus dem Landkreis – ein harter Schlag für eine dünn besiedelte Gegend.
Eine beachtliche Ausstellung in der Kirche Sankt Marien in Bad Belzig beleuchtet derzeit, wie sich der Verlauf des 1. Weltkrieges im Landkreis Zauch-Belzig darstellte. Sie ist demnächst auch in Beelitz und Nuthetal zu sehen – ein Werk der Chronistenvereinigung Potsdam-Mittelmark und des Germanisten John Shreve, der dazu ein 670 Seiten langes, detailreiches Begleitbuch verfasst hat. Shreve stammt aus den USA, studierte in Montana Germanistik. Seit 1977 ist Berlin Ost und West sein Lebensmittelpunkt, 1989 promovierte er an der FU über Wolf Biermann. Der 62-Jährige kennt sich auch in der Umgebung gut aus. 1998 veröffentlichte er eine Geschichte des Dorfes Reetz, hat viele Artikel zur deutschen Geschichte verfasst.
Es lohnt sich, die Kriegsauswirkungen im ländlichen Deutschland und besonders in der Fläming-Region genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Versorgung ist besser als in den Städten, die Leiden sind deshalb aber nicht geringer. Mehr als 90 Prozent der Reservisten kommen vom Lande. Die Heeresführung steht Bewerbern aus Größtstädten, wo sich die Ideen der Sozialdemokraten schneller verbreiten, skeptisch gegenüber. Von der evangelischen Kirche, die gerade in den Dörfern Einfluss hat, wird der Krieg als Gelegenheit der Erneuerung der moralisch-sittlichen Macht bejaht. Bei jedem Sieg des Heeres werden die Glocken geläutet, allein im August 1915 in der Belziger Kirche Sankt Marien achtmal.
Landrat Bernhard von Tschirschky hat plötzlich viele neue Aufgaben: Er muss sich um die veränderte Backverordnung kümmern, die Versorgung der Landwirtschaft mit Material und Futtermitteln, die Einhaltung der Lieferverpflichtungen nach Berlin und an die Heeresverwaltung und die Versorgung der Soldatenfrauen. Bauern versuchen, neue Höchstpreisregelungen zu umgehen, indem sie Waren produzieren, die nicht darunter fallen – statt Milch verkaufen sie beispielsweise Käse. Nach außen bleibt das patriotische Bild lange gewahrt. Lokalzeitungen sind voller kampfeslustiger Gedichte, auch in den Beelitzer Nachrichten werden martialische Verse veröffentlicht: „Gott weiß das Rechte / Gott wacht das Gute / Im wilden Gefechte / Im strömenden Blute.“
Die Ausstellung profitiert von den zahlreichen, von John Shreve recherchierten, Details zu den Auswirkungen des Kriegsgeschehens an der Heimatfront – und von Leihgaben des Dahnsdorfers Ernst Gutewort. Authentische Ausrüstungsgegenstände des Heeres sind zu sehen: Ein Stahlhelm, ein mit Kuhfell verkleideter Tornister, Bajonett und Koppel, dazu Ehrenmedaillen, Erinnerungsmünzen, Gedenkurkunden, Postkarten.
Wer nicht an der Front ist, kann sich anhand mehr oder weniger geschönter Ansichten ein Bild vom Geschehen machen: Militäridylle im Schützengraben, Soldaten an der Gulaschkanone oder vor einem kaputten englischen Panzer. Gerade die Landbevölkerung hatte wenig von der Welt gesehen, so werden mit den Frontgrüßen auch intakte Stadtansichten, Landschaften, Kirchen und Burgen wie Urlaubsgrüße versandt. Aber auch zerstörte Städte: „Etain, im Kampf durch Granatfeuer stark geschädigt“ oder „Häusertrümmer in St. Marie-a-Py (Champagne)“.
Die „Kriegerfrauen“, die mit jedem Kriegsjahr schwerer über die Runden kommen, sollen „Liebesgaben“ fertigen. In der „Reichswollwoche“ werden Strümpfe und Unterhosen an die Front geschickt. Der Vaterländische Frauenverein reicht ausrückenenden Soldaten am Bahnhof Belzig Erfrischungen. Sich in Briefen über die Situation in der Heimat zu beschweren, gilt als unpatriotisch. Dabei fehlt es an Männern für die schwere Landarbeit. Kriegsgefangene werden zu Arbeitsdiensten eingesetzt. Frauen, die ihnen Essen zustecken, droht die Inhaftierung. Wer sich intim mit Gefangenen einlässt, riskiert Arbeit und Ansehen. In Altengrabow wird ein riesiges Gefangenenlager gebaut – 100 Baracken für je 200 Mann. Auf einem früheren Ziegeleigrundstück in Michendorf entsteht 1915 eine kleine Gefangenenkolonie. Die mehr als 80 Kriegsgefangenen werden bewacht von einem Unteroffizier und zehn Landsturmmännern. Sie helfen beim Bau des Verschiebebahnhofs Neuseddin. Zur Arbeit gehen sie meistens zu Fuß, abends wärmen sie Konserven, die sie geschickt bekommen, über dem Lagerfeuer auf.
Mit jedem Kriegsjahr wird der Mangel schlimmer, das Düngemittel Salpeter aus Chile kommt wegen der britischen Seeblockade kaum noch an. Und wenn, dann wird es für Schießpulver benötigt. Futtermittel für die Landwirtschaft, die zuvor oft aus Russland eingeführt worden waren, fehlen. „Wer Brotgetreide verfüttert, versündigt sich am Vaterlande und macht sich strafbar“, heißt es im Zauch-Belziger Kreisblatt. Zur Kriegsfinanzierung müssen Goldmünzen beim Postamt eingetauscht werden. Als Dank gibt es Medaillen mit Aufschriften wie „Gold hab ich zur Wehr / Eisen nahm ich zur Ehr“.
Die Situation schlägt bis in die Lazarette durch. Im März 1917 frieren die Motoren des Elektrizitätswerkes in Treuenbrietzen ein, 250 Kranke sind ohne Licht und Wasser. Im Januar 1918 ist der Kohlemangel so groß, dass das Lazarett in Beelitz-Heilstätten aufgelöst wird, um nicht den Betrieb der Lungenheilstätten zu gefährden, in denen ebenfalls Soldaten untergebracht sind. Hinzu kommt, dass Hautkrankheiten in der Bevölkerung zunehmen, weil wegen der Fettknappheit nur noch Ersatzseife aus Sand oder Ton produziert werden darf.
Im Juni 1918 wird Werder (Havel) von Berliner Hamsterern überrannt. Das kontingentierte Frühobst rauzuschmuggeln, ist nicht so einfach. Als neun Musiker nach einem angeblichen Auftritt Werder verlassen wollen, müssen sie an der Sperre ihre Geigenkästen öffnen: Sie sind voller Kirschen. Zur Obstzüchterversammlung gibt es Beschwerden, weil Obst, dass die Werderschen nach Berlin liefern müssen, dort unter der Ladentheke zu Wucherpreisen gehandelt wird.
Auch Kirchenglocken leuten nicht mehr. Sie werden zum Einschmelzen abtransportiert, von 293 Glocken im Kreis gehen 134 an die Rüstungsindustrie. In Belzig war es im Juni 1917 so weit. Auf einem Foto sind die beiden Glocken, für den Abtransport geschmückt, auf einem Pferdewagen zu sehen. „Der Osterglocken traulich Läuten / Möge uns allen Frieden bedeuten“, heißt es auf einer Osterpostkarte, auf der eine Granate abgebildet ist.
Im Kriegsgedenkbuch des Reetzer Pfarrers Joachim Noack ist von 83 Gefallenen, 10 Vermissten und 65 Verwundeten die Rede. 606 Männer waren eingezogen worden, jetzt gibt es 30 Witwen und 54 Waisen in seiner Parochie. Nach dem Krieg dienen Ehrenmäler als Ersatz für fehlende Gräber. Aus Jeserig ist eine kleine Gedenktafel ausgestellt, die bei Abrissarbeiten in einer Scheune gefunden wurde: Ein Schwert auf einem Stahlhelm, flankiert von Kerzen. „Dem Gedächtnis unserer Gefallenen.“ Schrift und Motive sind mit Nägeln auf die Holztafel appliziert.
Ausstellung: Bis 6. September in der Kirche Bad Belzig, werktags von 10-14 Uhr, am Wochenende 14-17 Uhr. Vom 1. bis 25. Oktober in Grebs, vom 1. bis 26. November in Nuthetal, vom 18. Februar bis 31. März in Beelitz. Buch: John Shreve: Kriegszeit. Das ländliche Deutschland 1914-1919 – Belzig und Kreis Zauche. BeBra-Verlag, 36 Euro
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