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KulTOUR: Der Papst auf der Schlachtbank

Werder (Havel) - Die neue Ausstellung „Menschliches und Tierisches“ in Werders Stadtgalerie ist ein Prunkstück, also auch Referenz für jene Kunst, die Handwerk voraussetzt, damit sie sich in tiefen Inhalten ergehe. Der Werktitel wirkt zwar etwas schmal, dafür hat es die wortwörtlich sehenswerte Schau mit Arbeiten von Carmen Stahlschmidt und Eberhard Linke so richtig in sich.

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Werder (Havel) - Die neue Ausstellung „Menschliches und Tierisches“ in Werders Stadtgalerie ist ein Prunkstück, also auch Referenz für jene Kunst, die Handwerk voraussetzt, damit sie sich in tiefen Inhalten ergehe. Der Werktitel wirkt zwar etwas schmal, dafür hat es die wortwörtlich sehenswerte Schau mit Arbeiten von Carmen Stahlschmidt und Eberhard Linke so richtig in sich. Große Würfe, große Versuche in Skulptur und Zeichnung – und eine tragische Geschichte dazu: Der international bekannte Bildhauer ist seit zwei Jahren wegen eines Unfalls querschnittsgelähmt.

So sieht man, etwas abseits seiner großen Skulpturen, auf einer weißen Bodenplatte eine Gruppe von Rollstuhlfahrern („Relikte auf Rädern“) formiert. Manche recken Hals und Wirbelsäule weit in die Höhe, anderen sind die Reifen noch zu eckig. Seine Art, sich mit der neuen Situation auszusöhnen – und der Versuch des Künstlers, Leistungsgrenzen im Rollstuhl auszuloten. Seine Spezialität ist jene Terrakotta-Aufbau-Technik, die für sich selbst stehen kann, aber auch als Form für Bronzeabgüsse.

Diese Ausstellung zeigt beides. Und das im siebten Jahr vom Kunst-Geschoss! Mit „Ruinen“ auch seinen Entwurf für das Berliner Holocaust-Denkmal, eine Gruppe dürrer Beine, denen Rumpf und Köpfe fehlen. Ansonsten eindrucksvolle Porträtbüsten, Ikarus, ganz arg auf die Nase gefallen, die Skulptur „Mauersprung“, welche frontal den Besucher empfängt. Als traute Eberhard Linke den „realen“ Spiegelbildern des Lebens nicht, formt oder gießt er den Geist einer Sache: Die lebensgroßen Figurengruppen haben durchbrochene Leiber, ein „Gespaltenes Porträt“ ist tatsächlich zerspalten, Vielbeinigkeit hat anderen Ausdruck. Ein anderer „Realismus“, archaische Zeitlosigkeit, toll.

Besonders süffisant sind die Skulpturen zum Thema Papst und Bischof. Mehrmals sieht man den Oberhirten mit dem Abdruck einer Frauenhand im Gesicht, den er zu verdecken sucht. Oder er wird auf einer echten Schlachtbank postiert. Keck, aber Kunst sollte so etwas dürfen, gerade heute. Einer, dem die Zerspaltenheit im Gesicht geschrieben steht, ist vor den Ausstellungstüren postiert: „Eminenz im Werden“ gibt sozusagen „den Takt“ fürs Janze.

Carmen Stahlschmidt war bereits zweimal Gast der Werderaner Pleinairs, und damit auch in den entsprechenden Werkschauen im Kunst-Geschoss zu sehen. Sie unterstützte Eberhard Linke in seiner schweren Lebenssituation. Er nennt sie nicht Schülerin, sondern Mitarbeiterin. Auch sie hat sich am plastischen Arbeiten versucht, ein Hase und ein pickendes Huhn, etwas Wieselfell daran, aber es ist doch eine andere Art als die Linke’sche Ästhetik. Ihre Stärke ist die durch Geist (als zweite Dimension) erhöhte und dabei filigran bleibende Zeichnung, oft größeren Formats mit Buntstift, Schwarzmine oder Blattgold. Mit einer Serie zur „Königin von Saba“ und etlichen Bildern mit „Taubenschwänzchen“ liefert eher sie den tierischen Teil dieser Offerte.

Zeichnung und Grafik haben oft eine fotorealistische Grundlage, und doch bekommt bei ihr alles, zum Beispiel durch das Prinzip „pars pro toto“, einen anderen Dreh. Sie spielt gern mit dem Material, ist oft selbst in den Bildern enthalten. Sie erforscht Morgensterns Nachtgesang der Fische, stellt Schwan und „Hirschreiterin“ vor, einen rosigen Widder, liefert eine Serie von miniaturischem Getier...

Geist und Wille, Ausdruck und Handwerk, an dieser übergreifenden und trotzdem ganz persönlich gehaltenen Schau ist vieles zu sehen und etliches zu loben. Sie hat ganz einfach Format. Gerold Paul

Geöffnet bis zum 8. November Do, Sa und So 13 bis 18 Uhr

Gerold Paul

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