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Streit um "Klein Moskau" in Kleinmachnow: Der „Slum“ soll bleiben

50 Kleinmachnower demonstrieren gegen den Beschluss, das Wohnen in „Klein Moskau“ zu untersagen

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Kleinmachnow - Die Vorzeigegemeinde Kleinmachnow mit ihren schicken Stadtvillen und modernem Marktplatz hat ein Imageproblem: „Klein Moskau“. Die Siedlung, etwas abseits am Teltowkanal zwischen Ring- und Erlenweg gelegen, schien lange Zeit aus dem Blickfeld des Ortes geraten zu sein. Doch seit bekannt wurde, dass elf von 23 Familien dort ihr Wohnrecht verlieren werden, ist die Gemeinde gespalten (PNN berichteten).

Auch die Demonstration, zu der sich am Samstagvormittag rund 50 Kleinmachnower vor dem Rathaus versammelten, erregte die Gemüter der Vorübergehenden. Denn was sie da auf den ausgerollten Transparenten lasen, war für einige unvorstellbar: „Wir sind der Slum der Gemeinde, die hat jetzt einen Weg der Bereinigung gefunden: Raus mit den Bewohnern!“ Auf einem anderen stand: „Wir haben zwei Diktaturen überlebt. Die ,Demokraten’ wollen uns nun aus unserem Wohneigentum vertreiben“. Einige Passanten waren stutzig, hatten noch nie etwas von der Siedlung gehört und betrachteten die ausliegenden Lagepläne, die die Siedlung im Außenbereich ausweisen. Andere unterschrieben sofort die Petition für den Erhalt der Siedlung.

Viele mussten die Siedlung schon verlassen

Sie erfuhren von den Schicksalen der Bewohner, von denen eine ehemalige Lehrerin, 80 Jahre alt, und ein 70-Jähriger ihre Häuser verlassen sollen. Viele mussten bereits die Siedlung verlassen, da die Behörden ihnen das Wohnrecht untersagten. So verfallen auf verwilderten Grundstücken inzwischen 16 Ruinen. Bald werden es noch mehr sein, denn die Behörden erschweren es den Bewohnern, den baulichen Zustand ihres Heimes zu erhalten. Im Falle von Heinz Neyenhuys war es ein ausgetauschter Balken, der die Behörde veranlasste, einen Baustopp zu verhängen. „Ich habe erst nach den Arbeiten erfahren, dass ich für den Balken eine Genehmigung brauche“, so Neyenhuys.

Als er den Antrag nachreichte, wurde er abgelehnt. Begründung: Das Haus sei nicht sein Lebensmittelpunkt. Doch der 54-Jährige wohnt seit 24 Jahren im Haus, dessen obere Etage er nun nicht mehr nutzen kann, weil er den zweiten morschen Balken nicht ersetzen darf. Auch seine Nachbarin Nora Müller darf auf ihrem Grundstück nichts mehr verändern. „Das Schuppendach wollte ich erneuern, geht aber nicht.“ Die Bewohner hegen den Verdacht, dass der Verfall gewollt ist, um die Siedlung zu entvölkern.

Der Schock bei den Anwohnern sitzt tief

Die Vorwürfe richten sich unter anderem gegen die Fraktion der Grünen, die die Baudichte im Ort beklagt und deshalb auf ein Ausgleichsgebiet pocht. „Da hätten sie nicht die Siedlung als Bauernopfer fordern müssen“, so Neyenhuys. Einige Passanten belehrten bei der Demo die Protestler, dass noch nichts endgültig sei und sie bis zur öffentlichen Auslegung des Beschlusses abwarten sollten, was noch mindestens ein Jahr dauern könne.

Für die Betroffenen wenig tröstlich: Der Schock nach der Sitzung des Bauausschusses sitzt tief. Sieben Mitglieder hatten den Beschluss befürwortet, demzufolge das Areal nur noch als Wochenendsiedlung genutzt werden darf. Nur zwei waren dagegen. Linke-Fraktionschef Klaus-Jürgen Warnick beruhigte die Protestler am Samstag: „Es ist alles regelbar.“ Er und Fraktionskollege Wolfgang Kremke waren die einzigen Gemeindevertreter, die mit den Demonstranten sprachen. Die Fraktion Linke/Piraten ist gegen den Beschluss, den Warnick lautstark als „kollektives Politikversagen“ geißelte. Er wolle sich dafür einsetzen, dass „die Politik noch eine kreative Lösung findet“.

Noch viele offene Fragen

Doch solche Hoffnungen haben die Siedler aus „Klein Moskau“ aufgegeben, schon im Oktober letzten Jahres kam eine klare Ansage von Bauausschuss-Chef Mathias Schubert (SPD), der nur zwei Möglichkeiten gelten lassen will: Entweder soll es eine Wochenendhaus-Siedlung mit Einschränkungen geben oder ein allgemeines Wohngebiet mit den erforderlichen Erschließungen. Problem an Variante zwei sei dabei, dass im Schadensfall die Gemeindevertreter haftbar seien – einem Gutachten zufolge könnte der Baugrund in „Klein Moskau“ wegsacken.

Doch seit die Siedlung in den 30er-Jahren gebaut wurde, sei das nicht vorgekommen, so Gartenbesitzer Gerd Gahsmann. Seine Großeltern erwarben das Grundstück, auf dem anfangs nur Wohnlauben genehmigt waren, später aber der Bau von Wohnhäusern legalisiert wurde. Neidisch schauen die Siedler auf die Nachbarkommune Teltow, wo vor Jahren ein ähnliches Problem im Interesse der Datschenbesitzer und Anwohner fast geräuschlos über die parlamentarische Bühne lief und Härtefälle vermieden werden konnten.

Ein Fall sorgt bei den Demonstranten jedoch für Verwunderung und lässt Hoffnung aufkommen: So hatte ein Anwohner der Siedlung vor sieben Jahren eine Baugenehmigung erhalten und durfte sein Wohnhaus auf einer schwimmenden Betonplatte errichten. „Gilt denn dann nicht der Gleichheitsgrundsatz für alle anderen?“, hieß es vor dem Rathausmarkt. Es wird nicht die einzige Frage bleiben, die in Sachen „Klein Moskau“ in den nächsten Wochen noch zu klären ist.

Kirsten Graulich

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