Potsdam-Mittelmark: Der Wald wird nummeriert
Der Nabu will sich wieder intensiver um die Reiherkolonie im Wildpark kümmern. Auch um sagen zu können, ob ein lauter Nachbar tatsächlich stört
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Potsdam / Schwielowsee - Schwarzer Holunder wächst selten im Wald. Wenn doch, dann zeigt er Stickstoff im Boden an – häufig aus Vogelkot, wie Revierförster Werner Eichhoff erklärt. Am Rand seines Forstreviers, dem Wildpark, gibt es ein Waldstück, das dicht mit Holundersträuchern bewachsen ist. Ein Hinweis, dass sich ein Blick nach oben lohnen könnte: In den Kronen der alten Kiefern sind große dunkle Klötze auszumachen – Horste, in denen ab April die Reiher brüten. Zwischen 70 und 80 Graureiherkolonien gibt es nach Angaben des Naturschutzbundes Nabu im Land Brandenburg, eine der großen befindet sich hier. Wegen eines Industriegeländes steht ein Fragezeichen hinter der Zukunft des Naturdenkmals. Der Potsdamer Kreisverband des Nabu will jetzt wissen, wie es wirklich um die Kolonie steht.
Sie existiert seit den 1930er Jahren, so Nabu-Mann Wolfram Schulz gestern bei einem Vor-Ort-Termin. Vorher sollen die Graureiher, im Volksmund Fischreiher, in der Pirschheide genistet haben. Sie zogen zum Schäfereiberg – an den Geltower Ortsrand. 35 Meter von der Kolonie entfernt beginnt heute das Gelände der Recyclingfirma Richter. Schneidmühlen und Radlader, die Bewegungen der Container, die komplette Sortiertechnik verursacht zum Teil erheblichen Lärm. Seit 1995 ist es hier lauter geworden. Ob das die Kolonie stören könnte, darüber gibt es selbst unter den Hobbyornithologen des Nabu unterschiedliche Meinungen.
„Reiher brüten sogar direkt neben Bahnschienen“, meint zum Beispiel Manfred Mietke. Wolfram Schulz fragt sich derweil, was es mit den Zählungen der Brutpaare auf sich hat: Als die Kolonie noch intensiv vom einem Ehrenamtlichen des Nabu betreut wurde, seien von 1983 bis 2006 rund 150 bis 250 Brutpaare gezählt worden. Im vorigen Jahr musste die Firma Richter eine Auflage für eine Betriebsgenehmigung erfüllen – und eine neue Zählung in Auftrag geben. Die Gutachter von Natur & Raum in Rangsdorf kamen auf 52 Horste. Schulz: „Wenn das stimmt, wäre das kein gutes Zeichen.“
Doch nicht nur er ist vorsichtig mit Vorverurteilungen. Andere Zähler sind letztes Jahr auf andere Ergebnisse gekommen. Bei solchen Zählungen, da sind sich die Nabuleute einig, gibt es Unsicherheiten. Durch dichtes Laub sind die Horste im Frühjahr schlecht zu erkennen, die Zähler müssen sicher sein, dass sie besetzt sind. Zwei bis drei Horste können sich in einem Baum befinden, aber auch mal deutlich mehr. Zusätzlich gibt es oft unbesetzte „Spielhorste“, eine Art Kinderzimmer. Hinzu kommt: Die Reiher nehmen bei ihrer Verdauung keinerlei Rücksicht auf Besucher. „Man geht besser mit Schirm“, sagt Schulz.
Um die Entwicklung der Kolonie auf eine „leidlich wissenschaftliche Basis“ zu stellen, sollen die Wildpark-Reiher im Frühjahr erstmals von einem Fachmann beringt werden. Außerdem hat der Nabu gestern die alten Kiefern durchnummeriert, 250 insgesamt. Mit dem Revierförster ist man sich einig, dass diese 140 bis 160 Jahre alten Bäume stehen bleiben.
Erst mit den bewährten Zahlenschildchen an den Stämmen sei es möglich, den tatsächlichen Bestand zu erfassen, meint Stefanka Engst. Sie weiß, wovon sie spricht, im vorigen Mai hatte sie es mit einer Bestandsaufnahme versucht. Sie zeigt auf die Kartierung, ein Millimeterpapier mit Kreisen und Zahlen, von denen viele durchgestrichen sind. Engst wird nun Nabu-Betreuerin der Kolonie – und sie wird im Mai wohl wieder ein zuverlässiges Bild der Kolonie abgeben können.
Um sagen zu können, ob sich die Graureiher vom Industrielärm stören lassen, muss die Zählung wieder über einen längeren Zeitraum erfolgen. Kleine Schwankungen, auch das weiß man beim Nabu, sind völlig normal. Aber nicht mehr, wenn die Kolonie tatsächlich um zwei Drittel dezimiert wurde, sagt Wolfram Schulz. „Ich kann bloß hoffen, dass die Graureiher im Potsdamer Raum vom menschlichen Lärm abgehärtet sind.“
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