zum Hauptinhalt

Potsdam-Mittelmark: Die Bibel gesungen, gemalt und geträumt

Chagall-Ausstellung in Heilig-Geist-Kirche mit jüdischen liturgischen Gesängen eröffnet

Chagall-Ausstellung in Heilig-Geist-Kirche mit jüdischen liturgischen Gesängen eröffnet Von Elisabeth Richter Werder. Der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies, die Propheten, die Könige Israels – in der Heilig-Geist-Kirche auf der Werderaner Insel werden derzeit Farblithographien von Marc Chagall ausgestellt, Bilderzyklen zur Bibel. Die Wanderausstellung der Berliner Galerie Traudisch-Schröter macht letztmalig in Werder Station, danach wird sie in eine größere Sammlung integriert, so der in Werder lebende Religionspädagoge Siegfried Birkholz, auf dessen Initiative die Chagall-Bilder nach Werder kamen. Die Eröffnung am Sonntag wurde an einem besonderen Tag mit einem besonderen Programm gefeiert: der 18. April ist der Holocaust-Tag, hebräisch Yom Hashoah. Zu diesem Anlass konzertierte die Kantorin der Jüdischen Gemeinde Berlin, Avitall Gerstetter, zusammen mit dem Shalom-Chor Berlin-Brandenburg unter der Leitung von Elisabeth Liebig. Avitall Gerstetter ist Deutschlands erste Kantorin – Kantor ist in der jüdischen Gemeinde traditionell ein Männerberuf – seit fünf Jahren singt sie am Shabbat und an Festtagen die Liturgie in den Synagogen Oranienburger Straße und Hüttenweg. An diesem Abend sang sie in der Werderaner Kirche einige Teile aus dieser Liturgie und aus Psalmen, solistisch und im Wechselgesang mit dem Chor, einfühlsam und zurückhaltend von Shelley Soffer auf dem Klavier begleitet. Es waren ungewohnte Klänge für die Kirche, modulationsreich und von großem Stimmumfang, freudig-strahlend mit plötzlichen Wechseln in melancholische Stimmung. Chor und Kantorin trugen Bitt- und Lobgesänge vor wie das „Adon olam“ und „Keduscha“ (Heilig), das als Wechselgesang zwischen Chor und Kantorin so beeindruckend war, dass ein Teil des zahlreich erschienenen Publikums erstmalig spontan, wenn auch zaghaft, zu applaudieren wagte. Die große Stimme dieser kleinen, zierlichen Frau rührte an, es gab hier und da verstohlene Tränen und in der Pause Kommentare wie: „Sie singt wie ein Engel.“ (Übrigens sieht sie auch so aus.) Die Psalmen und liturgischen Gesänge, die zu Gehör kamen, standen in der aschkenasischen, der mitteleuropäischen Tradition, die im 19. Jahrhundert durch Komponisten wie Louis Lewandowski, die zugleich Kantoren waren, in den Stil der Wiener Klassik gebracht wurden. Dem Romantisch-Liedhaften dieser künstlerischen Tradition stand als Ergänzung eine Kostprobe von jiddischen Volksliedern gegenüber: „Rozhinkes mit Mandln“ (Rosinen mit Mandeln) oder „Ikh vil es hern nokhamel“ (Ich will es nochmal hören). Es gab herzlichen Applaus, und Avitall Gerstetter bedankte sich mit lobenden Worten für den wunderbaren Kirchenraum. Mit einer eindringlichen Bildmeditation sorgte Siegfried Birkholz anschließend dafür, dass Chagall (als eigentliche Hauptperson des Abends) über der Musik nicht vergessen wurde. Am Beispiel des Bildes „König Salomon“, das als Dia an die Wand projiziert wurde, gelang es ihm, die Aufmerksamkeit erneut zu sammeln. „In diesem Bild ist die Musik, die wir hörten, aufgehoben“, sagte er; die Bilder Chagalls „singen und erzählen“, und er zitierte Chagall: „Ich träume die Bibel“ und „Ich male, was ich fühle“. Siegfried Birkholz lud ein, den Geist der hebräischen Bibel, der in den Bildern weht, auf sich wirken zu lassen. Die Ausstellung ist bis 2. Mai täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Führungen täglich um 11.30 und 17 Uhr. Samstag und Sonntag von 19 bis 19.30 Uhr gibt es „Meditationen zur Nacht“" anhand einer ausgewählten Lithographie. Am Donnerstag, 22. April, findet um 19.30 Uhr eine Lesung Chassidischer Texte mit Siegfried Birkholz statt.

Elisabeth Richter

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false