zum Hauptinhalt

Potsdam-Mittelmark: Die drei Türme

Aus Werders Schloten raucht es schon lange nicht mehr. Warum sie trotzdem nicht abgerissen werden

Stand:

Werder (Havel) - Wenn die Werderaner über die Autobahn aus dem Sommerurlaub zurückkehren, so ist das erste, was sie von der Heimat erblicken, ein 130 Meter hoher Betonschlot. Mancher hat sich schon den Abriss des Ungetüms gewünscht, das nicht mehr recht ins beschauliche Städtchen passen will. So bald wird es den nicht geben. Stehen die Backsteinessen auf der Insel unter Denkmalschutz, so erfüllt ihr Betonbruder am Nordzipfel Werders als Funkturm seinen Zweck. „Einige Netze würden ausfallen, wenn es den Schornstein nicht mehr gibt“, sagt Gerhard Götze von der Edistherm. Zudem ist er Brutplatz von Wanderfalken. Ein Abriss sei nur denkbar, wenn ein Ersatzbrutplatz angenommen wurde, heißt es aus der Naturschutzbehörde.

Der Schlot wurde 1978 vom Spezialbaukombinat Magdeburg errichtet – neun Jahre zuvor war die Firma am Bau des Berliner Fernsehturm beteiligt, erinnert sich Götze. Der 64-Jährige war schon damals beim VEB Industrielle Wärmeversorgung dabei. Der kaum halb so hohe Vorgänger-Schlot hatte – selbst für DDR-Verhältnisse – nicht mehr den Anforderungen des Umweltschutzes entsprochen. „Wir verheizten ja russisches Heizöl. Durch den hohen Schwefelanteil gab es erhebliche Ausflockungen.“ Rußflocken hätten sich rund ums Fernwärmekraftwerk verteilt, Autos und Boote verschmutzt. Götze erinnert sich, wie der Dreck ein Loch ins Dach seines koda gefressen hatte.

Mit dem 130 Meter hohen Neubau sollte sich das ändern. In der Betonhülle befinden sich zwei Edelstahlrohre – 1,2 und 2 Meter dick. Je nach Leistung wurde im Winter das große, im Sommer das kleine genutzt. Unter Turm und Maschinenraum befand sich ein Zivilschutzraum – für den Fall von Bombenangriffen der feindlichen Nato-Armeen. Schornsteine würden bei Bombardements häufig stehen bleiben, lautete die Begründung. „Da standen Doppelbetten drin und die Belüftung konnte mit einer Handkurbel bedient werden“, so Götze.

Vom Fernwärmewerk wurden nicht nur viele Werderaner Wohnungen auf Temperatur gebracht. Unternehmen wie die Gewächshauswirtschaften, der Fruchtsaftbetrieb und das Pektinwerk wurden separat mit Dampf versorgt. Der Schlot war noch bis vor der Jahrtausendwende in Betrieb, dann wurde die Genehmigung für das alte Kraftwerk nicht verlängert. Damals wurden zwei Blockheizkraftwerke gebaut, die mit Erdgas betrieben werden, ein drittes soll demnächst hinzukommen. Zwischenzeitlich hatten sich Mobilfunkanbieter auf dem Schornstein angesiedelt: Telekom, E Plus, Vodafone und O2 – alle großen Anbieter sind auf Werders größtem Funkturm vertreten.

Und es gibt ein weiteres Hindernis für einen Abriss: Auf der Spitze hat seit 1998 immer wieder ein Wanderfalkenpaar genistet. Die Art ist streng geschützt, 1975 war der Wanderfalke fast ausgestorben. Seit 1998 ist die Zahl in Berlin und Brandenburg wieder von fünf auf dreißig Paare gewachsen, sagt Günter Kehl von der Naturschutzbehörde in Bad Belzig. In Werder würden fast jedes Jahr drei bis vier Junge ausfliegen, in diesem Jahr ist Pause. Das Nest hat Schauwert: Wanderfalken sind Luftjäger und erreichen auch mal 300 Stundenkilometer im Sturzflug. Kehl: „Im Landkreis befindet sich nur ein weiteres Paar im Fläming auf einer Hochspannungsleitung.“

Der Schornstein regt durch seine werbewirksame Höhe die Fantasie an: Die Kristall Bäder AG, die bis Jahresende in der Nähe ihre Blütentherme baut, hatte angekündigt, ihn für eine mechanische Blüte nutzen zu wollen, die sich öffnet und schließt. Ein Gespräch mit der Edistherm stehe noch aus, so Gerhard Götze. Es habe schon einmal Aktivitäten gegeben, den Schornstein künstlerisch zu gestalten – mit einem Fisch aus Edelstahl, der sich wie eine Wetterfahne im Wind bewegt. Götze sieht die Sache trotz alledem pragmatisch: Für Mobilfunkanbieter, Falken, Kunst und Werbung ließe sich Ersatz finden. „Wenn die Stadt etwas dazugibt, würden wir den Turm sofort abreißen.“

Doch die braucht ihr Geld gerade für einen anderen Schornstein: Im Zuge eines Grundstückstauschs hat das Rathaus vor einigen Jahren eine etwa 1000 Quadratmeter große Fläche an den Werderwiesen bekommen – ursprünglich in der Hoffnung, den Schornstein darauf abreißen zu können. Statt einer Abrissgenehmigung wurde der schiefe Schlot als Zeugnis der Industriegeschichte unter Denkmalschutz gestellt. Für einen Betrag „im oberen fünfstelligen Bereich“ soll die Landmarke in diesem Jahr saniert werden, wie es aus dem Bauamt heißt. Der Schornstein steht schief, hat Fehlstellen, Risse, Versätze und Salpeterausblutungen im Mauerwerk. Besonders die oberen 20 Meter müssen wohl komplett ersetzt werden, schreibt die Zeuthener Firma „Kagelmann Bau“ in einem Gutachten. Der Großteil der Sanierungsmittel wird aus der Städtebauförderung aufgebracht.

Die Stadt benötigt die Fläche, um bei großen Sportveranstaltungen oder zum Baumblütenfest Gerätschaften darauf abzustellen, sie war 1889 der Ursprung des Obstverarbeitungsbetriebs von Friedrich Wilhelm Lendel. Aus dem früheren Fabrikgebäude nebenan ist eine sehenswerte Turmvilla geworden, vom früheren Heizhaus ist das backsteinerne Abgasrohr geblieben. Das Landesdenkmalamt lieferte dazu ein zweiseitiges Gutachten: Der Schornstein wurde demnach erst 1917 von der Erfurter Firma Topf & Söhne gebaut, wohl als Teil einer modernisierten Kesselanlage. Die Erfurter hatten seinerzeit eine Hochleistungs-Feuerung für Braunkohle entwickelt und waren damit expandiert. Später war das Unternehmen am finstersten Kapitel deutscher Geschichte beteiligt und baute die Krematorien und Gaskammern in verschiedenen Konzentrationslagern, auch in Auschwitz.

Von der Kesselanlage in Werder ist nur der 30 Meter hohe Schornstein geblieben. Lendel hatte den Standort zwischen Markt und Werderwiesen schrittweise ausgeweitet, 1916 erwarb er das frühere Freigut dazu und baute die Firma weiter aus. Dass das alles auch unter der Kriegszwangswirtschaft funktioniert hat, hat wohl mit der Dringlichkeit der Lebensmittelversorgung zu tun gehabt.

Im Freigut am Eingang der Inselstadt, das heute eher mit Lendel in Verbindung gebracht wird, hat seine Firma einen weiteren Schornstein hinterlassen. Die Industrieanlage wird von einem Berliner Investor schrittweise rekonstruiert. Die 50 Meter hohe historische Esse wurde schon vor einigen Jahren als Teil der denkmalgeschützten „Musbude“ saniert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })