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Von Henry Klix: Die falsche Fahne

Eine alte Postkarte belegt, dass in Werder im Jahr 1989 womöglich die Farben verdreht wurden

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Werder (Havel) - Christian Zube ist ein Werdersches Original. Der Lokalpatriot arbeitet als IT-Spezialist im Rathaus und betreibt privat die Internetseite baumblüte.de. Die bunte Seite hält Werders Fähnlein hoch: Sie dreht sich ums Blütenfest und alles, was los ist in der Blütenstadt. An Zubes riesiger Fotosammlung bedient sich sogar der rbb. Auch historische Fotos sind auf baumblüte.de zu finden. Als er unlängst im Stadtarchiv alte Postkarten auf die Netz-Tauglichkeit untersuchte, kam Zube eine Karte mit Stempel vom 11.8.1942 zwischen die Finger.

Beim Besuch von Neubers Rudi sei es ganz schön rund gegangen, heißt es in der Feldpost aus Werder. Motiv: die Bismarckhöhe. Über der Terrasse flattert die weiß-rot-grüne Fahne. Zube stutzte. Werders Fahne ist heute grün-weiß-rot, das Weiß in der Mitte. Die Erinnerung an ein Gespräch mit seiner Großmutter Waltraud Seiler vor über 20 Jahren kam hoch. Damals hatten die Stadtverordneten nach umfänglichen Erkundungen entschieden, wie genau das Stadtwappen auszusehen hat. Die Farbfolge der Fahne war Teil des Beschlusses.

Zube stammt aus einer alten Werderschen Obstzüchterdynastie. „Meine Oma hat damals schon gesagt, dass die Farben falsch sind“, erinnert sich der 37-Jährige. „Die Werder-Fahne war immer weiß-rot-grün.“ Weiß wie die Blüte, rot wie die Frucht und grün wie die Blätter – so erzählte es Waltraud Seiler. Und so hing die Fahne bei den Zubes zum Baumblütenfest auch viele Jahre aus dem Dachfenster. Inzwischen hat Christian Zube weitere Fotos zusammengetragen, die seine These stützen, darunter ein Farbfoto der 29. Saison des Karnevalsclubs Werder im Jahre 1990/91. Dort hängt sie an der Bühne, die weiß-rot-grüne Fahne. Eine karnevalistische Provokation?

Die Stadtverordneten hatten schon im September 1989 beschlossen, wie Stadtwappen und Fahne künftig auszusehen haben. In der Quedlinburger Wappenrolle wurde daraufhin festgelegt: Silberschild, roter halber Adler, drei grüne Kleeblätter. Und: „Die Stadtfarben sind grün silber rot.“ Der Heimathistoriker Reimar Golz hatte zuvor ein 30 Seiten langes Gutachten dazu erstellt. 1952 waren per DDR-Siegelordnung alle Stadtwappen außer Kraft gesetzt worden, doch schon vor dem Ende der DDR besann man sich offenbar auf alte Werte.

1459 ist Werders Stadtrecht beurkundet. Diskussionen über die Flagge sind nicht überliefert, das Stadtwappen war derweil nie in Stein gemeißelt: Golz recherchierte über die Jahrhunderte 25 unterschiedliche Wappenformen, ob auf dem ersten Stadtsiegel aus dem 17. Jahrhundert, in einer Anzeige der Obstweinhersteller, beim Radfahrverein Borussia oder auf den Etiketten der Firma Kuhlbrodt. Mal trug der halbe Adler ein Schild auf der Brust, mal ein Schwert in der Klaue. Die drei Kleeblätter – ein Dreifaltigkeitssymbol – wurden schon mal werbewirksam gegen Weinblätter getauscht.

Der Fahne widmete Reimar Golz nur gut eine Seite. Grün wie der Frühling, weiß wie die Blüte und rot wie die Frucht, heißt es da. So beschlossen es die Stadtverordneten am 7. September 1989. Zuvor muss es noch zu Diskussionen in der Ratssitzung gekommen sein, im Juli 1989 rechtfertigte Golz die Farbfolge in einem beschwörenden Brief an den „Genossen Bürgermeister“.

Vor einer „Verzerrung der Heraldik“ wird gewarnt. Golz dozierte: Die Wappenkunde kennt die Farben rot, blau, grün und schwarz. Und sie kennt die Metalle Gold (gelb) und Silber (weiß). „Dabei darf nur Farbe auf Metall oder Metall auf Farbe stehen, niemals aber Farbe auf Farbe oder Metall auf Metall.“ Nicht zuletzt erinnerte Golz an alte Postkarten ab 1860, auf denen die Werder-Fahne „meist grün-weiß-rot, nur ganz vereinzelt weiß-rot-grün“ abgebildet sei.

Das will Christian Zube nicht gelten lassen: Nach weitergehenden Postkarten-Vergleichen ist er sich sicher, dass die grün-weiß-roten Karten alle aus der Kaiserzeit stammen. Die Motive wurden vor der Farbfotografie in Werder üppig mit Blüten retuschiert und nachkoloriert. Zube meint, dass das auch für die Fahnen gilt: So sei der schwarz-weiß-roten Reichsflagge ein Lokalkolorit verpasst worden. „Man wählte den einfachsten Weg: Aus Schwarz wurde Grün.“ Durch seinen jüngsten Postkartenfund fühlt er sich bestärkt: „Weiß-rot-grün ist richtig, grün-weiß-rot ist falsch. “

Wenigstens herrscht Einigkeit über die Farben, auch wenn sie unterschiedlich interpretiert werden: „Witt der Sand, grün dat Land und rot die Kant“, zitierte Ernst Hentrich in seiner bekannten Werder-Chronik von 1962 die Werderschen. Bemerkenswert, was er zur Fahne schreibt: Laut Hentrich ist „unsere heutige Stadtfahne in ihrer Farbzusammensetzung erst im 19. Jahrhundert entstanden“. Über die Reihenfolge heißt es bei Hentrich wörtlich: „weiß, rot und grün“.

Nicht zuletzt schrieb der preußische Hofrat Kurzhals vom königlichen Heroldsamt im Jahre 1904 an Werders Magistrat: „Die Flaggenfarben: weiß-rot-grün.“

Werders Bürgermeister Werner Große will sich solchen Argumenten nicht verschließen. Auch in seiner Erinnerung wurden die Farben der Werder-Fahne in der DDR-Zeit vertauscht. „Dadurch haben wir jetzt dieselbe Fahne wie Glindow.“ Zur Zeit seien zwar andere Dinge wichtiger. „Aber nach der Baumblüte“, sagt Große, „sollten wir der Sache auf den Grund gehen.“

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