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KulTOUR: Die Heimat der Dichter

Joachim Sartorius und Uljana Wolf stellten im Huchel-Haus in Wilhelmshorst ihre verlorenen Welten vor

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Michendorf · Wilhelmshorst - „Ich habe selbst noch nie ein Schiff bestiegen. Doch ich weiß Bescheid, durch Bilder und vom Hörensagen“, lässt Euripides die greise Hekabe in den „Troerinnen“ sagen. Diese so simple wie gewaltige Sentenz wählte Joachim Sartorius ostentativ zum Titel seines neuen Buches, „Das Innere der Schiffe“, ein Essayband zur künstlerisch-ästhetischen Selbstverständigung am Gegenstand der Malerei und Poesie, denn beide Genres bilden oftmals nur „vom Hörensagen“ ab, was ihre Schöpfer, da zu ferne, selber nie gesehen, den Krieg um Troja beispielsweise.

Ist Sartorius nicht gerade mit der der Leitung der Berliner Festspiele beschäftigt, so dichtet er, oder denkt über das Innere der Schiffe nach, ernsthaft und lehrreich genug, dass den jungen Kecken eine Sentenz wie „ästhetischer Reaktionär“ vergehen müsste. Zusammen mit der jungen Lyrikerin Uljana Wolf las er diese Woche im Wilhelmshorster Huchel-Haus vor immerhin 20 Besuchern, und es lohnte sich, mehr als zuvor.

Wie von selbst fügten sich erstaunliche Gemeinsamkeiten zwischen den Autoren, obwohl in Herkunft, Sicht und Werk grundverschieden: Uljana Wolf wurde 1979 in der Platte in Hellersdorf geboren, Joachim Sartorius 1946 in Tunis. Sie zog es, durch großelterliche Erzählungen angeregt, in die schlesisch-deutsche Vergangenheit, während der Diplomatensohn Nikosia, New York, den Kongo und Istanbul mehr als einen Urlaub lang erlebte. Er kennt die Welt, die er beschreibt, sie sucht noch nach ihr.

Beide bevorzugen Lyrik, beiden ist ein Drang in die Ferne eigen: Da ihr Russland („am liebsten Moskau“) versagt blieb, studierte sie in Krakau Germanistik, Anglistik und Literaturwissenschaft. Sie spricht polnisch, doch ihr Huchel-Preis- gekrönter Debüt-Band „kochanie ich habe brot gekauft“, woraus sie las, beschreibt „das Innere der Schiffe“ aus ganz eigenem Erleben. Worte wie Väter, Wald oder Holzfäller kommen oft darin vor. Poetisch lehnt sie sich an den Wilhelmshorster an.

Auch Sartorius sprach von einem „Mobilitätsverlangen“ in seinem Leben. Wo er seine Kindheit verbrachte, da sei auch die Heimat. Im Wiederfinden von Bildern, dort, ließen sich sogar „Depots entdecken“, wie seine Gedichtbände „In den ägyptischen Filmen“ und „Ich habe die Nacht“ recht eindrucksvoll belegen. Aus letzterem las er: „Ice Memory“ schlägt den Bogen vom Arktis-Firn in die Tiefen der Zeit des Homer. Die Verwandlung des Jägers Aktäon durch Diana veranlasst ihn zu der Frage „ich habe das Licht vom Licht unterschieden, was habe ich gesehen?“. Und ein altes Foto aus Samarkand mit Lilja Brik, Ossip Mandelstam und Wladimir Majakowski versetzte ihn in die Lage der Hekabe zurück. Intensive Sachen, obwohl die anschließenden Auszüge aus dem titelgebenden Buch danach nicht immer überzeugend waren.

Die bestens präparierte Moderatorin Cornelia Jentzsch stellte Fragen nach dem Fremdsein, nach der Heimat von Lyrik, ihrer Dichter und deren Ausdruck. Für den Weitgereisten „ist nur die Muttersprache das Eigene, denn „immer sind wir allein mit der sprache, zugerichtet von ihr“. Der jungen Dame an seiner Seite ist das Fremde nur Definition. „Weltlyrik“, falls nach Goethe vorhanden, müsse „zirkulieren können“ und gut „verortet“ sein, meinte Sartorius. Beide Autoren trafen sich also in den Landschaften der verlorenen Kulturen, Schlesien hier, Karthago da, wovon man nur noch durch Hörensagen weiß. Wie geht man mit dem Untergegangenen um, im Inneren der Schiffe? Mit Poesie, was sonst.

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