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Potsdam-Mittelmark: Die Mauer als Gedächtniswand

Das Interesse an der Geschichte der Teilung wächst. Wie kann und muss man darauf antworten. Eine Diskussion im Mauermuseum

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Das Interesse an der Geschichte der Teilung wächst. Wie kann und muss man darauf antworten. Eine Diskussion im Mauermuseum Berlin/Kleinmachnow - Jaroslav Sonkas erste Erfahrungen an der Berliner Mauer machte er aus einem Anlass, den er mit vielen anderen Grenzgängern gemein hatte: Er wollte seinen Vater sehen. Der Vater, ein Tscheche, war auf dem damaligen Clement-Gottwald-Platz vor dem Brandenburger Tor in Potsdam zusammengebrochen und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Sonka, der als 20-Jähriger 1969 in die Bundesrepublik ging, bekam ein Besuchervisum und reiste vom Westen in den Osten. Das war in den 80er Jahren. „Da habe ich angefangen, mich für die Mauer zu interessieren“, sagt er. Sonka, heute Studienleiter der Europäischen Akademie Berlin, sitzt am Podiumstisch im Dokumentationszentrum „Berliner Mauer“ in der Bernauer Straße, wo an diesem Abend gefragt wird: „Wo bitte geht“s zur Mauer?“ Neben ihm der einstige DDR-Bürgerrechtler und Publizist Wolfgang Templin. Gabriele Camphausen, Vorsitzende des Vereins Berliner Mauer und einstige Direktorin der Stiftung Topographie des Terrors, macht das Gesprächstrio komplett. Von ihnen wollen die gut 50 Leute im Publikum hören, wie man heute an den Eisernen Vorhang erinnern kann und soll. Allein, dass man sich wieder zunehmend mit dieser Frage beschäftigt, nimmt Camphausen erfreut zur Kenntnis: „Ich spüre einen Wechsel der Wahrnehmung“, sagt sie. Keiner wird das in diesen Tagen besser bestätigen können als der Kleinmachnower Filmemacher Peter Gärtner. Jahrelang bot er einzigartige Aufnahmen eines Fluges in nur 50 Meter Höhe entlang der Mauer von Potsdam nach Berlin an – gefilmt kurz für dem offiziellen Abrissbeginn der steinernden Grenze. Niemand interessierte sich für die beieindruckenden Bilder. Nach einem Zeitungsartikel über den Mauerflug vor vier Wochen konnte sich Gärtner vor Anfragen nicht retten. Inzwischen ist die mit 3000 „Mauerflug“-DVDs produzierte Erstauflage vertrieben, weitere 3000 Stück produziert und eine mehrsprachige Auflage in Planung. Das brandenburgische Bildungsministerium ist an mehreren Hundert Exemplaren interessiert. 15 Jahre brauchte Gärtner, um auf Interesse zu stoßen. Am Podiumstisch in der Bernauer Straße haderte Gabriele Camphausen mit dem langen geschichtspolitischen Desinteresse, die Mauer besser sichtbar und erlebbar zu machen. Andererseits räumte sie ein, dass es eines „zeitlichen Abstandes“ bedurfte. „Dieser Prozess der Neu- und Wiederannäherung ist von besonderen Wert“, meint Camphausen. Doch wann hat man genug Abstand genommen? Jaroslav Sonka fragt sich, „ob das Thema Generationsgrenzen passieren kann“, ohne dass zu viel verloren geht. Es sei unschwer vorauszusagen, dass sich in 30 Jahren Mauer-Debatten zwischen jungen und älteren Menschen deutlich unterscheiden werden. Er kenne das aus eigenen Beobachtungen seiner tschechischen Heimat. Nach der Ermordung John Lennons im Dezember 1980 bekritzelten Jugendliche in Prag eine Mauer mit Graffiti und der subversiven Parole: „Ihr habt Lenin, lasst uns Lennon.“ Vergeblich versuchten die sozialistischen Behörden, immer wieder neue Sponti-Sprüche zu übermalen, bis man schließlich die Gedächtniswand akzeptierte. Der Lennon-Altar avancierte zu einem Symbol, das man heute noch wahrnehmen kann. Doch versteht man es auch? „Meine 17-jährige Tochter hat nicht das Wissen, um es zu interpretieren“, sagt Sonka. Zwar habe der Altar nahe der Prager Karlsbrücke nichts mit der Berliner Mauer zu tun. Doch hier wie dort verlangt es nach Erklärung, um zu verstehen. Es werde „eine Kunst sein, ein Drahtseilakt“, so der einstige Dissident Templin, die Mauer nicht nur zu zeigen, sondern sie auch einzuordnen. Es müssten Brücken geschlagen werden zwischen den einzelnen Erfahrungsräumen in Europa. Schicksale sollten erzählt, emotionale Betroffenheit erzeugt werden. Und man wird verschiedene Interpretationen diskutieren müssen: War die Mauer ein Symbol des Kalten Krieges? Ein Zeichen einer gescheiterten Politik? Ist sie zwangsläufige Folge des zweiten Weltkrieges? Man wird auch nicht einen „ideologiearmen Umgang“ mit der deutschen Teilung vermeiden können, wie es sich jemand aus dem Publikum wünschte. „Denn das Bemühen um Ideologiefreiheit wird uns nicht von Wertungen befreien“, sagt Sonka. Lange hat sich nicht nur Berlin schwer getan mit der Frage, wie man die gemeinsame Vergangenheit der Teilung vergegenwärtigt. Dass der Einheitsprozess länger und schwieriger wird, als von so manchen Politiker vorhergesagt, liegt für Templin auch im „schnellen Niederreißen“ begründet. Doch jetzt brauche es Antworten auf das steigende Interesse, das nicht nur an wachsenden Besucherzahlen vor den Mauerresten in Bernauer Straße oder verkauften DVDs zu spüren ist. „Steine sind zu wenig, um Geschichte zu reflektieren“, meint Sonka. Doch als eine ungeduldigen Zuhörerin nach anderthalb Stunden Gedankenaustausch hören wollte, wo denn nun konkret und praktisch etwas passiert, predigten selbst die Mahner auf dem Podium Geduld. Noch laufe für die entscheidenden Weichenstellungen das Zusammenspiel zwischen Ehrenamt und Politik nicht optimal, konstatiert Templin. „Wir sind in einer Professionalisierungs- und Qualifizierungsphase“, so Camphausen. Und: „Wir sind erst am Anfang.“

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