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Von Kirsten Graulich: Die Menschlichkeit bewahrt
Johannes Kreiselmaier, Arzt in Teltow, Lehnin und Zehlendorf, gehörte zur Widerstandsgruppe des 20. Juli
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Teltow / Kloster Lehnin - An den 8. Juli 1944 kann sich Susanne Riveles immer noch gut erinnern. Es war der Tag, an dem ihr Vater Johannes Kreiselmaier von der Gestapo verhaftet wurde. Susanne Riveles war gerade sechs Jahre alt. Die Gestapo durchsuchte das Lehniner Haus, in dem die Familie Kreiselmaier ihre Sommer verbrachte. Zur gleichen Zeit wurde die Praxis von Johannes Kreiselmaier in der Zehlendorfer Goethestraße durchsucht. Und auch nach Teltow war ein Streifenwagen unterwegs: Dort verhaftete eine Offiziersstreife den Arzt, der gerade im Dralowid-Werk seine Sprechstunde abhielt.
Im September 1944 steht er wie über 200 Männer und Frauen, die das Hitlerattentat am 20. Juli zu verantworten hatten, vor dem Volksgerichtshof. Er gehört zu den 99, die zum Tode verurteilt werden. „Hochverrat, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung“ lautet die Anklage, das Urteil wird am 27. November 1944 im Zuchthaus Brandenburg mit dem Fallbeil vollstreckt. Kreiselmaier hatte ein gesundheitspolitisches Konzept für die Zeit nach Hitlers Sturz erarbeitet.
Am vergangenen Freitag besuchte seine jüngste Tochter Susanne Riveles in Teltow das Evangelische Diakonissenhaus Berlin-Teltow-Lehnin. Sie lebt heute in den USA, hat Menschenrechte studiert und berichtete vor rund 20 Zuhörern von ihrem Vater, der von 1927 bis 1938 das Krankenhaus und das Säuglingsheim im Lehniner „Luise-Henrietten-Stift“ geleitet hatte. „Am Tage als mein Vater verhaftet wurde, brachte mich unser Kindermädchen nach Berlin“, erinnerte sie sich. Es nannte sie „das Kind vom roten Doktor“. Dass ihr Vater in Lehnin jüdische Freunde hatte, erfuhr sie erst später von ihrer Mutter. In dem kleinen Ort war das nicht zu verheimlichen, ihr Vater wurde angefeindet. Auch die Dichterin Else Lasker-Schüler hatte die Familie hier besucht.
Nach der Verhaftung sei ihr Vater in das Potsdamer Gefängnis in der Lindenstraße eingeliefert worden. Die Mutter, die wie die Jüngste Susanne hieß, brachte jeden zweiten Tag Obst und Zigarren – in der Hoffnung, dass er etwas davon bekommt. Bevor er im September nach Moabit verlegt wurde, erhielt sie von einem der Bewacher den Hinweis, dass sie ihren Mann am Potsdamer Hauptbahnhof noch einmal sehen könne. Angekettet habe er in der S-Bahn gesessen, ihm gegenüber ein Wachmann, erzählte die Mutter, die sich während der Fahrt neben ihn setzen durfte. Sprechen durften sie nicht.
Er war ein wortkarger, gütiger Mensch, den seine Patienten mochten, hatte die Mutter erzählt. In einer erbarmungslosen Zeit bewahrte er ein Stück Menschlichkeit: Als Arzt habe er sich auch für Patienten verantwortlich gefühlt, die ihn nicht bezahlen konnten – wie die Zwangsarbeiter in der Lehniner Ziegelei. Auch die polnischen Zwangsarbeiter im Teltower Dralowid-Werk erfuhren von ihm die gleiche medizinische Behandlung wie deutsche Werksangehörige, obwohl das verboten war.
Seit Dezember 1943 hatte Kreiselmaier Kontakt zur kommunistischen Widerstandsgruppe Saefkow-Jacob-Bästlein. Er gewährte Leuten, die untertauchen mussten, in seiner Praxis Quartier, hier traf sich auch die Gruppe. Zudem spendete er Geld für Illegale. Als Stabsarzt waren ihm mehrere Berliner Lazarette unterstellt: Täglich mit dem Strom Verwundeter konfrontiert, entließ er viele Soldaten als frontdienstuntauglich. Als das zweite Treffen zwischen den Kommunisten Saefkow und Jacob mit den Sozialdemokraten Adolf Reichwein und Julius Leber, die zum unmittelbaren Verschwörerkreis um Graf von Stauffenberg gehörten, auffliegt, steht auch der Arzt Johannes Kreiselmaier auf der Verhaftungsliste.
Heimatvereinschef Peter Jaeckel schlägt vor, einer Teltow Einrichtung seinen Namen zu geben.
Kirsten Graulich
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