zum Hauptinhalt
Auch im Beruf am liebsten unterwegs und keine Lust auf Büroarbeit. In ihrer Freizeit reitet Anika Schilling gern oder geht ins Sportstudio.

© Manfred Thomas

Potsdam-Mittelmark: Die Ratte bleibt draußen

Schädlingsbekämpferin Anika Schilling aus Caputh wird als beste Absolventin ihres Berufes geehrt

Stand:

Schwielowsee - An einen der ersten Ausflüge mit ihrem Vater zur Arbeit erinnert sich Anika Schilling gern: Mit Papa ging’s zu einem Garagenkomplex im Potsdamer Umland. Schädlinge mussten bekämpft werden. „Die Ratten sind uns fast über die Füße gelaufen“, witzelt die junge Frau. Überall Dreck und Gewimmel. Aber anders als bei Mädchen von sieben oder acht Jahren üblich habe sie damals schon die Rattennester nicht als eklig oder abstoßend empfunden. Heute ist sie staatlich geprüfte Schädlingsbekämpferin und bekämpft die Nager, wo sie schädlich und gesundheitsgefährdend sind.

Die 23-jährige Kammerjägerin aus Caputh gehört zu den besten Lehrlingen ihres Jahrgangs. Am heutigen Nachmittag wird sie mit 78 weiteren Jung-Handwerkern von LandesSozialminister Günter Baaske (SPD) auf einer Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer Potsdam (IHK) geehrt. Drei Wochen später ist sie zu einem noch bedeutenderen Empfang nach Berlin eingeladen: Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) wird sie auszeichnen als bundesweit beste Absolventin ihres Berufsstandes.

Anika Schilling ist zurückhaltend und kann ihren Erfolg scheinbar kaum fassen. Was macht sie zum besten Kammerjäger-Lehrling 2011? Da fällt ihr ein, dass sie nur Einsen auf dem Zeugnis hat. Das Oberstufenzentrum in Spandau, wo sie den schulischen Teil der Ausbildung absolviert hat, und der tolle Lehrbetrieb – der ihres Vaters nämlich – haben Anteil gehabt an den guten Noten und dem Spaß während der Lehre. Als einzige junge Frau unter einem Dutzend Schädlings-Bekämpfungs-Lehrlingen habe sie sich im Unterricht wohl gefühlt.

Gefahrenanalyse, Vorbeugen, Überwachen: Das ist inzwischen ihr unspektakulärer Berufsalltag. Dazu stellt die Kammerjägerin handgroße Fallen mit Lockstoffen auf, was nach dem Prinzip des Fliegenpapiers funktioniert. So kann sie sehen, ob überhaupt Schädlinge wie Schaben oder Motten kleben bleiben. „Ratten und Mäuse sind allerdings die häufigsten Probleme hier“, lautet ihre Erfahrung. „In Berlin nehmen dagegen die Bettwanzen zu.“

Anika Schilling ist bescheiden, doch im Gespräch wird ihre Fachkompetenz deutlich: Nach dem Abitur in Michendorf hat sie im Herbst 2008 die Lehre im elterlichen Betrieb begonnen, im zweiten Lehrjahr zwischenzeitlich die Weiterbildung zur staatlich geprüften Desinfektorin absolviert, dann alle Prüfungen sehr gut bestanden – und ein halbes Lehrjahr geschenkt bekommen.

Die chemische Keule komme heute kaum noch zum Einsatz. „Prophylaxe ist der Schwerpunkt unserer Arbeit“, entgegnet Anika Schilling den Vorurteilen über den Beruf des Kammerjägers. Mit weißem Kittel arbeitet sie manchmal, aber mit Maske und Schutzanzug – das entspreche kaum der Realität. Harte Wirklichkeit sei aber das „Entwesen“ von Wohnungen nach Sterbefällen. Da müsse man „schon manchmal über den eigenen Schatten springen“.

Ein knappes Jahr arbeitet sie jetzt als Kammerjägerin. Sie ist viel unterwegs, meist allein. Der Vater hat eigene Aufgaben: Er übernimmt viel im Büro, denn der sportlichen Anika reichen vier Stunden am Schreibtisch zum Überdruss. „Büroarbeit ist nichts für mich“, stöhnt sie, „um Gottes Willen!“

Obwohl sie beruflich Tiere töten muss, ist die Caputherin doch tierlieb. Seit sie voll arbeitet, findet sie nur noch halb so viel Zeit für ihr Reitpferd in Michendorf, dreimal die Woche. Auf Arbeit jagt sie Nagetiere, wo sie Übel verbreiten, im Privaten dagegen liebt sie sogar Ratten. Eine kleine weiße würde sie gerne als Haustier halten. Aber: das gehe nicht, lächelt sie. Ihr Freund mag die Tiere nicht. Und so sagt er: Die Ratte bleibt draußen!

Während sich Anika Schilling mit kleinen Tieren auskennt, muss sie sich jetzt erst einmal über große Worte den Kopf zerbrechen. Während des heutigen Empfangs der Besten soll sie reden. Zehn Minuten, ist ihr angetragen worden von der IHK. „Hoffentlich werde ich nicht stottern oder mich verquatschen“, ist ihr sofort in den Sinn gekommen. „Was ziehe ich an?“ war allerdings der erste Gedanke der Caputherin, die sonst sportlich-jugendlich auftritt. Für eine schwarze Hose und rote Bluse mit Jacket darüber habe sie sich entschieden.

Thomas Wendel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })