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Potsdam-Mittelmark: Die Trauung

Eine Silvestergeschichte, wie sie wohl nie stattfinden wird

Stand:

Der Altar war hübsch dekoriert. Blumen umrankten die Kanzel. Über dem Eingang hingen rot-blaue Girlanden. „Ziemlich übertrieben“, dachte Schmidt. Er war allein in der Kirche und wollte sich ungestört ein Bild machen. Schmidt rieb sich gedankenversunken die kalten Hände und ging langsam den schmalen Gang bis vor an den Altar. Hier würde er morgen also stehen und bezeugen, dass es eine vernünftige Sache ist, wenn sich seine beiden Kollegen das Ja-Wort geben. Wenn gefragt wird, wer als Trauzeuge hinter den beiden steht, wird er sich melden und zu Protokoll geben: Thomas Schmidt, Bürgermeister der Stadt Teltow. Um sicher zu gehen, dass ihm morgen nicht die Stimme versagt oder die Knie weich werden, ist er hergekommen. So wie Verbrecher an den Ort des Geschehens zurückkehren, wollte er schon da sein, bevor es passiert. Nur dass er sich nicht als Verbrecher fühlte. Er ist der Gute. Die anderen sind ... Schmidt zögerte einen Moment, denn zischte er: „Elende Verräter sind es!“

Enser und Blasig hatten darauf bestanden, dass Schmidt ihr Trauzeuge ist. Natürlich war ihm klar, dass sie ihn nur benutzen wollten. Er sollte in aller Öffentlichkeit bekunden, keine Einwände gegen die Heirat der beiden zu haben, obwohl alle wissen, dass er sich nichts sehnlicher wünscht als ein Platzen des Termins. Geschickt hatte Enser während eines Interviews im regionalen TV-Sender erwähnt, dass es schön wäre, wenn Thomas Schmidt den Trauzeugen macht. Wie konnte er da noch nein sagen.

Schmidt hätte nie gedacht, dass es soweit kommen würde. Als die Bürgermeister Wolfgang Blasig und Gerhard Enser begannen, über eine Fusion von Kleinmachnow und Stahnsdorf nachzudenken, hielten das alle für eine fixe Idee. „Die können doch überhaupt nicht miteinander, das wird nie“, tönte es allenthalben.

„Die sind doch wie Pech und Schwefel“, argwöhnte mancher. „Der eine ist CDU, der andere ein Sozi. Was soll das?“, echauffierte sich Klaus-Jürgen Warnick von der PDS. „Humbug“, soll Matthias Platzeck gemeint haben. Vor allem aber wetterte man in Teltow gegen die plötzliche Liaison. „Absolut lächerlich“, tönte es auf der Ortsversammlung der SPD. Auf die Frage eines unerfahrenen Jusos, was denn daran falsch sei, wenn wenigstens Zwei sich verbünden, wenn es zu Dritt nicht klappt, erwiderte ein Alt-Vorderer nur: „Es gibt die Teltower Rübchen, den Teltowkanal und den Teltower Damm. Wir sind Teltow! Alles andere ist lächerlich.“

Schmidt selbst fühlte einen stechenden Schmerz in der Brust, als er von den Absichten der beiden Nachbarn in der Zeitung las. Sein Herz verkrampfte sich, ihm wurde übel. Er war immer davon ausgegangen, dass, wenn einmal Hochzeit gehalten wird, Teltow und Kleinmachnow die Glücklichen sein werden. Und nun drängt sich dieses bucklige Stahnsdorf dazwischen. Seit dieser Enser da ist, hat er das Gefühl, das es nicht mehr so ist wie früher. Da war dieses Gefühl blinder Vertrautheit: Wenn die Teltower und Kleinmachnower wirklich wollten, würden sie füreinander da sein. Wenn es hart auf hart kommt, würde man gemeinsame Sache machen. Niemand hatte das bislang ausgesprochen, aber Schmidt hatte so eine innere Gewissheit, dass es so sein würde. Damals, als sie vereinbarten, dass der Kleinmachnower Bauhof auch in Teltow sauber machen darf, war das, als erlaube man der Geliebten, schon mal die Wohnung aufzuräumen. Wenn das nicht passt, dachte Schmidt. Kleinmachnow und Teltow würden sich das Ja-Wort geben und Stahnsdorf, quasi als Adoptivkind, die Ringe reichen. Sicher, dachte Schmidt, Stahnsdorf hat sich gemausert, ist recht adrett geworden. Doch ist das noch lange kein Grund, einem die Braut auszuspannen. „Wie der Enser schon grinst“, dachte Schmidt missmutig. Schmidt wollte nicht glauben, dass die beiden ernste Absichten haben. Panisch ließ er sich dazu hinreißen, gegenüber einem Lokaljournalisten zu behaupten, ein flotter Dreier sei besser als ein solider Zweier.

Enser und Blasig hatten sich weit vorgewagt. „Es gibt keine Tabus mehr“, hatte Blasig auf einer Pressekonferenz erklärt und die von den Zeitungen haben das prompt gedruckt. Irgendwann, als die Sache richtig Wellen schlug und sogar der „Spiegel“ auf einer halben Seite über den „Wagemut am Teltowkanal“ schrieb und am Beispiel der geplanten Fusion in der Provinz erklärte, wie sehr ganz Deutschland sparen würde, gebe es nur noch sechs Bundesländer, da gab es kein Zurück mehr. Enser und Blasig waren Pioniere. Sie saßen in Zehlendorf im „Adelino“ als Blasig nach dem fünften schweren Bordeaux Enser tief in die Augen sah und fragte: „Wie weit würdest Du gehen“.

Enser wiegte den Kopf. Er sah hinüber zu Franco, dem Chef vom „Adelino“, dessen schwarze Haare glänzten und dessen italienische Augen lebensfroh blitzten. „Notfalls“, meinte Enser schließlich und holte noch einmal tief Luft, „notfalls würde ich Dich heiraten, irgendwie“.

Er hatte gedacht, dass Blasig aufspringen und ihn anschreien würde. Dass er ihn für total verrückt halten würde. Doch Blasig blieb ruhig und sah ihn eindringlich an.

Nach einer Weile sagte er: „Daran hab ich auch schon gedacht.“

„Also heißt das, Du willst“, fragte Enser vorsichtig nach.

„Ja, ich will!“

Ihnen war klar, dass es dünnes Eis war, auf das sie sich begaben. Ständig hatte man von ihnen verlangt, erst einmal zu beweisen, dass sie als Bürgermeister besser zusammenarbeiten und harmonisieren können, bevor sie ihre beiden Dörfer vereinen. Ständig warf man ihnen vor, sich gegenseitig auszutricksen und sich auf den Tod nicht ausstehen zu können. Wie zur 100-Jahr-Feier des Teltowkanals, als Blasig für eine auswärtige Delegation einen Empfang in der Bäkemühle gab, als alle vom zarten Zanderfilet in Weißweinsauce und den Trüffeln schwärmten, und Enser am nächsten Tag entgegen aller Vernunft und Absprachen den Ausbau der Kleinmachnower Schleuse forderte – aus Frust, weil er nicht eingeladen worden war. „Wer fürstlich speisen kann, muss auch fürstlich bauen“, hatte er in kleiner Runde seine Attacke begründet. „Man kann nicht öffentlich Schmalkost predigen und heimlich Austern schlürfen!“

Doch als dann die hohen Herren vom Land meinten, in Zukunft nur Teltow mit Fördermitteln unterstützen zu müssen, zählte Enser Eins und Eins zusammen. Wenn sich Stahnsdorf und Kleinmachnow zusammentun, würde es beiden besser gehen. Das ist wie bei einer Bedarfsgemeinschaft: Eine Wohnung ist preiswerter als zwei, je mehr Kinder, desto mehr Stütze.

„Richtig heiraten kann ich dich aber nicht. Ich hab ja schon eine Frau,“ sagte Blasig.

„Ich hab doch auch eine.“

„Und ...“, Blasig druckste ein wenig herum, „... naja, ich will auch nicht, dass das so''n falschen Touch kriegt.“

„Meinste vielleicht ich!?“, erwiderte Enser und stocherte mit dem Zeigefinger in der Luft. „Um Himmels willen.“

„Also wir müssen irgendwie hinkriegen, dass die ganze Sache von symbolischem Wert ist.“

„Aber von hohem!“

„Ja klar, von hohem!“, nickte Blasig.

Franco brachte noch zwei Gläser Rotwein.

Am nächsten Nachmittag saßen Enser und Blasig beim Pfarrer der örtlichen Kirchengemeinde. „Wir wollen heiraten“, eröffnete Blasig dem Pfarrer ohne große Umschweife. „Aber nur symbolisch,“ beeilte sich Enser zu erklären. Der Pfarrer sah sie ungläubig an.

„Wie, heiraten?“

„Naja“, sagte Enser, „wir wollen mit gutem Beispiel vorangehen.“

Sie beredeten lange, ob man so etwas machen kann.

„Eine Hochzeit ist kein Karneval“, hatte der Pfarrer gemeint. „Das ist eine ernste Sache.“

„Es ist mir ernst,“ versicherte Blasig.

Sie bemühten sich, den Pfarrer von der Bedeutung und den Folgen eines solchen Schrittes zu überzeugen: das stärkere Zusammengehörigkeitsgefühl, die gemeinsamen Ziele und Pläne, die man endlich zusammen verwirklichen kann, die schlanke Verwaltung, die alle verlangen und, man könne das ja ruhig erwähnen, das Geld, das es zusätzlich geben würde. Schließlich würde es auch Folgen für die Kirche haben, meinte Enser. „Sie werden eine der größten Kirchengemeinden in ganz Brandenburg“, bedeutete er dem Pfarrer.

Am späten Abend verließen Enser und Blasig glücklich und mit Gottes Segen das Pfarramt. Auch der Pfarrer war zufrieden. Sorgfältig schloss er das Papier weg, dass ihm die beiden unterschrieben hatten: Die Zusage für ein neues Gemeindegrundstück.

Es war eine Stunde vor Mitternacht, als die beiden Bürgermeister vor der Kirche standen und auf ihren Einsatz warteten.

„Sollen wir eigentlich Hand in Hand reingehen“, fragte Blasig.

Enser zuckte mit den Schultern: „Weiß ich auch nicht.“

Die Kirche war rappelvoll. In den ersten Reihe saßen die Stahnsdorfer Gemeindevertreter, auf der anderen Seite die Kleinmachnower. Dahinter die Gäste vom Land: Innenminister Schönbohm, SPD-Fraktionschef Baaske, der Vorsitzende vom Städte- und Gemeindebund, Landtagspräsident Fritsch.

Sie hatten lange überlegt, welche Musik sie zum Einmarsch spielen sollen. Die klassische Hochzeitsfanfare sollte es nicht sein. Enser dachte an die Berliner Philharmoniker, weil er da gute Kontakte hin habe. Blasig hielt das für zu protzig. Sie verständigten sich auf das Vocalensemble der Kreismusikschule, das jetzt hingebungsvoll „Love me tender“ sang. „Oh Gott“, dachte Enser, „hätten wir mal die Philharmoniker genommen.“ Sie schritten die Bankreihen entlang. Vorn, am Altar, stand Landrat Lothar Koch. Er nestelte nervös an seiner Krawatte und lächelte dem Paar entgegen.

„Lieber Herr Enser, lieber Wolfgang. Werte Gäste. Wir haben uns heute hier versammelt, um ein besonderes Bündnis zu schließen. Zwei Kollegen bekennen sich zueinander. Hand in Hand begeben sie sich auf einen Weg, den es zu folgen lohnt.“

Koch hielt die Rede seines Lebens. Wohl gewählt reihte sich Wort an Wort, so dass die Zuhörer im Kirchensaal das Gefühl bekamen, nicht Zeugen einer Trauung, sondern einer Fügung zu sein. Tatsächlich sagte Koch am Ende: „Und so fügt sich zusammen, was zusammen gehört.“

Thomas Schmidt saß in der ersten Bankreihe. Es war bereits Neujahr, als Landrat Koch fragte, ob jemand etwas gegen die Heirat hätte? Er hatte sich lange auf die Frage vorbereitet. Er hatte überlegt, was passieren würde, wenn er enttarnt, dass es bei der ganzen Sachen nur ums Geld geht und mit Liebe nichts zu tun hat. Jetzt stand er entschlossen auf und sagte mit fester Stimme: „Ja, ich will auch!“

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