
© Tobias Reichelt
Potsdam-Mittelmark: Die Wahrheit muss endlich raus
Nach 43 Jahren im Dienst der Kleinmachnower Eigenherd-Schule geht Bernd Bültermann in den Ruhestand
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Kleinmachnow - Es ist nur ein kurzer Satz. Er kommt Bernd Bültermann beiläufig über die Lippen und verhallt fast unbemerkt in dem schmalen Raum der Kleinmachnower Eigenherd-Grundschule. „Mein Vater war mein Schulleiter“, sagt Bültermann und holt schnell Luft, um das Thema zu wechseln. Bloß nicht über die eigene Kindheit sprechen – „ich erzähle meinen Schülern nicht oft davon“, sagt der Lehrer. Und doch muss jetzt die Wahrheit raus: Bernd Bültermann war früher das, was viele einen ungezogenen Bengel nennen.
Der Sohn des Schuldirektors war ein Kokler, der eine Strohmiete in Flammen setzte. Er war ein Fantast, der als Kind Gänseküken das Fliegen beibringen wollte – immerhin eine Gans hat den Sturz vom Apfelbaum überlebt, zumindest bis Weihnachten. Bernd Bültermann hat mit Silvesterknallern hantiert und dabei eine Daumenspitze verloren. Er hat Schokolade geklaut, wurde dafür bestraft und hat seinem Vater im Gegenzug junge Akazien auf dem Schulhof abgesägt. „Weil ich die Strafe zu hart fand“, erklärt Bültermann und lächelt verlegen.
„Ja“, sagt der heute 65-Jährige und packt seine Worte in rhetorische Watte: „Ich war ein ausgesprochener Junge. Das ist nicht, was sich ein Schuldirektor von seinem Sohn erwartet.“ Heute – über 50 Jahre später – sitzt Bültermann selbst als Leiter einer Schule zwischen alten hölzernen Schulbänken, auf denen Schiefertafeln, Griffel, Schwamm und Sütterlin-Lernhefte liegen.
Es ist das Schulmuseum der Eigenherd-Grundschule, dessen Ausstellungsstücke der Kleinmachnower mithilfe anderer hier im ersten Stock des denkmalgeschützten Baus zusammengetragen hat. Es sind Zeugnisse vergangener Schulzeiten – so wie Bültermanns Erinnerungen. Nach 43 Jahren im Dienst, davon 24 zuletzt als Direktor der Grundschule, wird er zum 21. Juli in den Ruhestand wechseln. Leicht fällt ihm das nicht.
Der Kleinmachnower ist verliebt in seine Schule und in ihre Tradition, die im Jahr 1930 mit einer hölzernen Baracke und 15 Schülern begründet wurde. Die Eigenherd-Siedlung, in der die neue Schule stand, wächst damals schnell. Schon sechs Jahre später entsteht das heute denkmalgeschützte Haupthaus. Zu DDR-Zeiten firmiert die Einrichtung dann als Polytechnische Oberschule und erhält 1972 den Namen des bulgarischen Kommunisten „Georgi Dimitroff“ – 1933 angeklagt, die vermeintlichen Brandstifter des Reichstages unterstützt zu haben.
Eine mannshohe, glänzend weiße Büste des schnauzbärtigen Bulgaren steht noch heute im Schulmuseum, auch der Teppich mit zwei Partisanensäbeln ist noch da. Einst zierte beides die Empfangshalle, erinnert sich Bültermann. 1972 – es war auch das Jahr, in dem der frühere Handelskaufmann für Damenuntertrikotage und später erst studierte Lehrer zusammen mit seiner Frau Karola den Dienst in der Schule beginnt. Bültermann gründet dort eine Singegruppe. Mit Lehrern und Schülern arbeitet er an eigenen Kompositionen. Für ihn beginnt das, was er ein Leben mit der Musik nennt.
Die Band nennt sich „Mladost“. Das ist bulgarisch und bedeutet „Jugend“. „Bulgarisch deshalb, weil wir gehofft hatten, so dorthin reisen zu dürfen“, sagt Bernd Bültermann. Der Plan geht damals auf. Mit rockig-poppigen Liedern mit Titeln wie „Erste Liebe“ oder „Sag ich Du zu meinem Lehrer?“ wird die Gruppe bekannt. Mit bis zu 18 Schülern touren sie bis 1981 durch die DDR und das sozialistische Ausland – bis nach Bulgarien. „Das war schon schick“, sagt Bültermann.
Bis heute ist der Lehrer der Musik treu geblieben, spielt gemeinsam mit seiner Tochter in der Band „Ulrike und DieBe“. Nach dem Fall der Mauer wird Bültermann Direktor der Eigenherd-Schule, die nun Grundschule ist. „Ich bin glücklich, dass es so gekommen ist.“ In seiner Dienstzeit hat er mehr als 1000 Kinder unterrichtet, zum Teil über drei Generationen. Die ältesten seiner ehemaligen Schüler haben nun ihre Enkel an der Grundschule. Die Dankbarkeit der Kinder sei ihm viel wert.
„Ich werde schon noch ein bisschen an der Schule bleiben, dafür liebe ich sie zu sehr“, sagt Bernd Bültermann und nimmt auf einer der schmalen Holzbänke im Schulmuseum Platz. Die 51-jährige Karen Korge aus Berlin wird ihn zum neuen Schuljahr ablösen. Bültermann selbst will sich als ehemaliger Leiter im Förderverein engagieren und Ansprechpartner bleiben.
„Ich habe meinen Eltern immer Sorgen gemacht, sie haben mich trotzdem geliebt“, sagt Bültermann und wischt mit der Handkante über eine der Schiefertafeln. Er erkenne sich heute noch oftmals selbst in den Schülern wieder. Mit allen Streichen und Querelen. „Es ist ein Akt der totalen Wiedergutmachung gegenüber meinem Vater, dass ich Lehrer geworden bin“, sagt Bültermann. „Ich kann mir vorstellen, dass er am Ende stolz auf mich war.“
Schulklassen können das Museum in der Eigenherd-Schule, Im Kamp 2-12, besuchen. Kontakt unter Telefon (033203) 8774400
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