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Potsdam-Mittelmark: Die Yacht des kleinen Mannes

Zehn Stundenkilometer sind das richtige Tempo für die Kulturlanschaft an der Havel – das geht ohne Führerschein

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Zehn Stundenkilometer sind das richtige Tempo für die Kulturlanschaft an der Havel – das geht ohne Führerschein Werder - Kapitän kann jeder sein. Um die Havelseen zwischen Werder und Potsdam mit dem Boot zu erkunden, braucht man keinen Führerschein – auch keine Muskelkraft. Kleine Motor- und Kajütboote bis fünf PS dürfen in Brandenburg auch unerfahrene Landratten steuern. Bis zu zehn Stundenkilometern fährt die „Yacht des kleinen Mannes“ – ideal, um Weinberge, Obstflure und Kulturlanschaft vom Wasser zu entdecken. Verleihe haben längst solche Boote im Angebot (siehe Infokasten) und öffnen die Havel dem Durchschnittsbürger. Unter den Linden in Werder betreiben Markus Till und Guido Krüger ein Wassersportgeschäft. Sie reparieren, verkaufen und vermieten Boote aller Couleur. Hier habe ich mich angemeldet, um für einige Stunden die Havel zu erkunden. An diesem Mittwoch geht es ruhig zu. Nicht so wie an heißen Wochenendtagen, „dann haben wir bis zu 500 Leute hier“, berichtet Hafenmeister Dennis Kokert. Der junge Mann hat gerade eine Familie in einen Einer-Kanadier eingewiesen. Rund 40 Kunden habe er aber auch heute gehabt, an diesem trüben Tag. Dennis Kokert lässt noch Boote zu Wasser. Über den Steg toben Kinder. Der kleine Leonard erzählt, dass er Geburtstag hat und der rote Kanadier neben ihm sein Geschenk ist, mit Papa wird er ausprobiert. Während die Paddler verabschiedet werden, habe ich mich für ein feuerrotes Sportboot „Trainer“ entschieden. Für das Fünf-PS-Gefährt braucht man keinen Führerschein, aber eine kurze Einweisung: Vorwärts, Rückwärts, Leerlauf - im Prinzip wie beim Auto, denke ich. „Unter der Inselbrücke bitte nicht durch", sagt mir Dennis Kokert. „Und nicht zu dicht neben der Insel, da gibt es Sandbänke.“ Routiniert lege ich den Hebel nach hinten, nach einem Ruck greift die Schraube. Surrend nimmt das Boot Fahrt auf. Vorbei an der Uferpromenade und am paddelndem Leonard drehe ich um die Insel. Ich bin Seefahrts-Neuling. Etwas mulmig wird mir doch, als auf der offenen Havel die ersten Yachten auf mich zukommen. Ich begebe mich an den Rand der Fahrrinne. In sicherer Entfernung lasse ich den „Prinz von Preußen" vorbeiziehen. Die grollende Hoheit schlägt Wellen, mein Flitzer schaukelt. Die nächste Yacht steuert ein Graubärtiger. Er dreht den Kopf, lächelt, winkt. Kapitäne grüßen sich. Und der Kapitän auf dem „Trainer" bin ja ich. Ich winke zurück, steuere in die Fahrrinne zurück. Mit dem Schieben des Hebels offenbaren sich Tempo-Kapazitäten. Die zehn Stundenkilometer werde ich wohl erreicht haben, einen Tacho gibt es nicht. Das Dahingleiten reicht mir, zumal ich noch an der „Berolina" vorbei muss, einem Touristendampfer, der von der Insel losgemacht hat. Und jetzt Bahn frei! Langsam läuft Alt-Werder vorbei: Kirche, Fischerkaten, Uferpromenade. Ich recke den Kopf über die Windschutzscheibe in den Fahrtwind. Markus Till hat mir Streckentipps gegeben: Für Kulturbegeisterte empfiehlt sich sich Potsdam. Die Wublitz im Norden sei etwas für Naturfreunde, Motorbote dürfen dort aber nicht fahren. Ich steuere durch die Strengbrücke auf den Glindower See, der sich wegen des sauberen Wassers zum Baden anbietet. Allerdings fehlt mir die Sonne – und eine Badehose. Die meisten Boote haben an Stegen festgemacht, auf dem See ist kaum Betrieb. Hier mal ein Angler, dort ein Kanut, ansonsten zwischen Jahnufer und Riegelspitze Natur pur. Ein Graureiher schießt vorbei, die Beute im Schnabel. Vom Wasser her sehen die Orte anders aus, ohne Straßenlärm, idyllischer. Der rote „Trainer" und sein Steuermann haben sich angefreundet. Mit dem Ellenbogen auf der Boardwand – mein Autofenster liegt auf gleicher Höhe – und den alten Song vom Missisippi-Dampfer „Proud Mary“ auf den Lippen drehe ich noch eine Runde über den Schwielowsee. Auf der Baumgartenbrücke herrscht Hochbetrieb – darunter ist es ruhig. Wer hier weiterfährt, gelangt nach Caputh zum Einsteinhaus, nach Ferch zum Bonsaigarten, nach Potsdam zu Schlössern und Gärten – für Touristen ein Paradies. Boote mit Mecklenburgischen, Sächsischen, Anhaltinischen und Berliner Wappen sind zu erkennen. Auf dem Rückweg packt mich der Übermut: Vor Werders Uferpromenade drehe ich eine Acht, allerdings nimmt kaum einer der Passanten Notiz. Wieder auf der Regattastrecke sehe ich den kleinen Leonard noch immer stolz mit seinem Kanu umherpaddeln. Ich bin auch froh: Jene, die mir heute begegnet sind, dürfen nur im Urlaub her – ich lebe hier. Und Boot fahren kann ich jetzt auch.

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