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Potsdam-Mittelmark: „Die Zukunft trägt man oberhalb des Halses“
Bildung als Wirtschaftsfaktor: Beelitzer Gymnasiasten diskutierten mit Frank-Walter Steinmeier
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Beelitz - Frank-Walter Steinmeier drückte am Dienstag noch mal die Schulbank. Doch statt einem Lehrer standen Beelitzer Schüler am Pult und erklärten, was in Brandenburg und bundesweit am Bildungssystem verbessert werden könnte. Mit Zeigestock und Nachrichtensprecherstimme erklärten die Zwölftklässler des Sally-Bein-Gymnasiums dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, warum Bildung ein so wichtiger Wirtschaftsfaktor sei.
„Wir gehen mal vom Worst-Case-Szenario aus“, sagte die 17-jährige Annalena Podzun und zeigte auf ihre Präsentation an der Wand. Schlechte Bildung führte zu Arbeitslosigkeit und damit zu weniger Staatseinnahmen, aber auch zu deutlichem Fachkräftemangel. Und das hieße konkret weniger Ärzte, schlechte Gesundheitsversorgung, weniger Lehrer, weniger Innovationen, schlechter Export. „Kurz gesagt, ohne Investitionen in die Bildung steuern wir auf ein Wirtschaftstief zu“, erklärte die angehende Abiturientin mit Nachdruck.
Steinmeier war bereits zum zweiten Mal am Beelitzer Gymnasium. Mit seinem Projekt „Junger Rat für Frank Walter Steinmeier“ wollte er dort zeigen, dass man Politik mitgestalten kann. „Wenn ich für jüngere Menschen Politik mache, muss ich wissen, was sie von der Politik erwarten“, so Steinmeier. Daher besucht er seit der vergangenen Legislaturperiode regelmäßig Schulen in seinem Wahlkreis. Der SPD-Mann fordert dabei Schüler auf, sich ein aktuelles Thema auszusuchen, es auszuarbeiten und ihm Lösungsvorschläge für die Politik mitzugeben.
Wären die Beelitzer Schüler Politiker, würde sich einiges ändern: Es gäbe einheitliche Unterrichtsbücher, mehr Weiterbildungen für Lehrer, bessere Sprachförderung, wiederkehrende Eignungstests, bessere Übereinstimmung der Lehrpläne und jüngeres Lehrpersonal. Das forderten sie nicht nur für Brandenburg, sondern für Schulen in ganz Deutschland. Auch auf europäischer Ebene könnten deutsche Firmen die duale Ausbildung noch stärker vorantreiben.
„Und, was sagen Sie dazu?“, fragte einer der Schüler am Ende des Vortrags den Mann mit grauem Anzug in der ersten Reihe. Steinmeier schmunzelte ob der Schlagfertigkeit der Jugendlichen. „Ihr habt vollkommen recht, die Zukunft eines Landes ohne Rohstoffe trägt man oberhalb des Halses.“ Dann holte er aus und gab Einblicke in die wochenlangen Koalitionsverhandlungen. Eine Auflösung des sogenannten Kooperationsverbotes, das dem Bund Zahlungen für Aufgaben der Länder weitgehend untersagt, sei nicht gelungen. Die SPD hatte gefordert, dass der Bund auch an Schulprojekte der Länder Geld überweisen kann. An der letzten Bastion der Länder, der Zuständigkeit für die Bildung, lasse sich eben nur schwer rütteln. „Ihr müsst leider weiterhin mit unterschiedlichen Schulbüchern leben“, sagte Steinmeier. Auch dass Schüler mit einem Abi aus Brandenburg es an Hochschulen in Süddeutschland schwerer haben, führte er auf. „Das klingt so wie aus dem letzten Jahrhundert, leider ist das noch Realität.“ Immerhin werde man mit rund sechs Milliarden Euro in den nächsten Jahren die Länder bei der Bildung unterstützen. Und Steinmeier versprach, sich darum zu bemühen, die Unterschiede zwischen den Ländern langsam einzuebnen.
Doch ein derartiges Lippenbekenntnis reichte der 18-jährigen Svenja Berfuß nicht. Sie ärgerte sich, dass Brandenburg aus dem gemeinsamen Zentralabitur mit Berlin wieder ausgestiegen ist. „Wenn das schon bei Nachbarländern nicht klappt, wo soll das alles hinführen?“, fragte sich die Schülerin. Wütend sei sie auf Bildungsministerin Martina Münch (SPD). Steinmeier bot an, seine SPD-Kollegin zu motivieren, das Gespräch zu den Beelitzer Gymnasiasten zu suchen. „Richten Sie ihr von uns mal einen schönen Gruß aus“, fügte keck das Mädchen hinzu. Berührungsängste hatte am Dienstag offensichtlich niemand. „Damit sich überhaupt etwas ändert, müssen wir Herrn Steinmeier sagen, was uns stört“, sagte die 18-jährige Sarah Wiezorrek. Viel Kritik und viele Fragen. Nur die Frage, ob Steinmeier nun Außenminister wird, die stellte niemand. Eva Schmid
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