Potsdam-Mittelmark: Drama knapp verhindert
Schwerer Gefahrgutunfall auf Cargo-Bahnhof Neuseddin
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Schwerer Gefahrgutunfall auf Cargo-Bahnhof Neuseddin Seddiner See. Nicht nur Nordkorea, auch das Landratsamt Belzig hat Probleme mit seiner Informationspolitik. Und auch die Bahn übt sich lieber in Schweigen, wenn“s ernst wird. Als sich am 13. Februar ein schwerer Gefahrgutunfall auf dem Cargo-Bahnhof Seddin ereignete, verlor man darüber keine Silbe. Erst in der Kreistagssitzung am Donnerstag wurde bekannt, dass vor über zwei Monaten ein leerer Güterwaggon auf einen Kesselwagen mit 55 Tonnen Schwefeldioxid geprallt war. Das stechende Gas der Gefahrenklasse II, das bekanntlich auch bei der Kohleverbrennung entsteht, kann in hoher Konzentration zu Augen- und Atemreizungen, Lungenödemen und flüssig zu Erfrierungen führen. Ein Drama wurde womöglich nur durch eine Uhr verhindert, die neben den Gleisen auf einem Betonpfeiler stand: Der Kesselwagen war bei dem Unfall zwar aus den Schienen gerutscht. Der vom Fahrwerk abgetrennte Kessel lehnte sich aber gegen den Pfeiler und bekam nur eine Beule. Über die Gefahr eines Gasaustritts machten Bahn und Feuerwehr gestern unterschiedliche Angaben. Kreisbrandmeister Herbert Baier glaubt, dass aufgrund seitlicher Ventile und des Kesseldrucks ein Gasaustritt unvermeidlich gewesen wäre, hätte sich der Waggon quer gelegt. „Der Pfeiler war unser Glück.“ Dementgegen betonte Bahnsprecher Holger Auferkamp, dass beim Kippen nichts passiert wäre. Der doppelwandige Kessel sei durch TÜV und Eisenbahnbundesamt abgenommen. „Selbst wenn er quer liegt, darf nichts austreten.“ Der Cargo-Bahnhof ist zentrale Anlaufstelle für Bahntransporte im deutschen Nordosten. Hier werden Züge getrennt und neu gekoppelt wieder auf die Reise geschickt, etwa 1000 Waggons täglich. Der Unfall ereignete sich 23.50 Uhr an einem Ablaufberg. An diesen Neigungen rollen die Waggons auf ihre neuen Richtungsgleise. Der leere Waggon traf dabei an einer Weiche unten auf den Kesselwagen. Ursache des Unfalls war laut Auferkamp menschliches Versagen: Ein Sicherheits-Hemmschuh, der den leeren Waggon abbremsen sollte, sei nicht angebracht gewesen. Nach den Feuerwehren wurden auch Bundesgrenzschutz und eine Spezialfirma hinzugezogen. Der Kessel wurde leer gepumpt wieder auf die Gleise gehoben. Die Bergungsarbeiten dauerten zwei Tage. Auferkamp sagte, alle Beteiligten und der Landkreis seien über den Vorfall im Bild gewesen. Weiteren Informationsbedarf sah man nicht. Der Kreistag hörte vom Unfall am Donnerstag beim Tätigkeitsbericht der Verwaltung. Dem Landratsamt war die Gefahr bewusst: „Das hätte schlimme Folgen haben können“, so Landrat Lothar Koch. Umweltchemiker Prof. Wolfgang Bechmann von der Uni Potsdam verurteilte gestern, dass der Fall so lange im Dunkeln blieb. „Solche Dinge müssen an die Öffentlichkeit und Sicherheitsmängel offen aufgeklärt werden, damit kein unberechtigtes Misstrauen gegen die Chemie wächst.“ Die Gefährdung durch Schwefeldioxid, das in der Industrie als Reduktionsmittel eingesetzt wird, wollte Bechmann indes relativiert wissen: „Schwefeldioxid verflüchtigt sich sehr schnell.“ Nur Menschen in unmittelbarer Umgebung wären gefährdet gewesen, wenn das Gas massiv ausgetreten wäre, sie in der Gaswolke gestanden und keine Schutzkleidung getragen hätten. Ganz ausschließen wollte Bechmann eine Gefahr für das benachbarte Neuseddin allerdings nicht. „Da hängt auch viel vom Zufall und der Windrichtung ab.“ Henry Klix
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