Potsdam-Mittelmark: Eberhard in der Kiste
Das halbwüchsige Wildschwein Eberhard verlässt seine Pferdebox und zieht in den Baruther Wildpark Johannismühle um
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Teltow - Eigentlich ist alles ganz einfach. Eberhard soll in die grüne Kiste, dann geht es ab ins Auto und nach einer mehrstündigen Fahrt lockt der Wildpark Johannismühle in Baruth im Süden Brandenburgs mit reichlich Auslauf. Doch wie soll man einem halbwüchsigen Keiler erklären, was gut für ihn ist?
Julian Dorschs stärkstes Argument ist eine Plastikharke, mit der er am Dienstag geduldig versucht, Eberhard zu bewegen, in die grüne Kiste zu gehen. Doch Eberhard spielt lieber wilde Sau. Seit über zwei Monaten lebt das Wildschwein in einer Pferdebox in Teltow-Seehof. Im April war der Frischling Eberhard zum ersten Mal auf einer Weide zwischen Pferden in Seehof gesichtet worden. Dorsch erkundigte sich beim verantwortlichen Jagdpächter über das ungewöhnliche Verhalten. Der berichtete von einer Bache, die mit ihren Frischlingen überfahren worden war. Eberhard war scheinbar der einzige, der diesen Unfall überlebte und nun bei den Pferden eine Ersatzfamilie suchte und fand. Kurze Zeit später verschwand Eberhard wieder.
„Wir dachten, er hätte sich anderen Wildschweinen angeschlossen“, erzählt Dorsch. Nach drei Wochen war Eberhard wieder auf der Koppel. Doch sein rechtes Hinterbein war gebrochen. Eberhard trug es ständig hochgezogen und wird sich wohl auch in Zukunft fast ausschließlich dreibeinig fortbewegen. Für Dorsch war es an der Zeit zu handeln. Er telefonierte mit einem Tierarzt, der Eberhard Anfang Juli mit einem Betäubungsgewehr zur Strecke brachte.
Als Eberhard wieder zu sich kam, lag er in der kleinen Pferdebox einer privaten Haltergemeinschaft, die Dorsch und seine Freundin Kathleen Schneider mit Freunden in Teltow-Seehof betreiben. Nur ein vorläufiges Zuhause. Julian Dorsch hatte sich erkundigt, wo Eberhard unterkommen könnte. Der Weg in die freie Wildbahn ist dem Wildschwein versperrt. „Das Betäubungsmittel wird im Körper abgebaut und deshalb darf Eberhard nicht als Braten enden“, sagt Dorsch. Würde man Eberhard auswildern, könnte ihn durch einen gezielten Schuss eines Jägers dieses Schicksal durchaus ereilen. Im Wildpark Johannismühle soll der jugendliche Keiler in einem Freigehege ein neues Zuhause finden. Doch dafür muss der gut neun Monate alte Eberhard in die grüne Kiste, die Dorsch vom Zoologischen Garten in Berlin kostenlos für den Transport bekommen hat.
Eberhard will aber nicht. Er hat sich in die hinterste Ecke zurückgezogen und scheint zu ahnen, dass sich etwas anbahnt. Als Dorsch mit Freundin Kathleen die Kiste in die Pferdebox schiebt, versucht Eberhard die Flucht nach vorn. Doch Dorsch ist schneller, verstellt mit seinem Bein den Weg und der rüpelhafte Keiler flitzt zurück in seine Ecke. Nun versucht er alles, um sich den gut gemeinten Ratschlägen und leichten Stößen mit der Harke zu widersetzen. Eberhard grunzt, sträubt die Nackenhaare und lässt Eimer durch die Box fliegen. Gelegentlich versucht er sogar zu klettern.
Kathleen Schneider bricht es fast das Herz, wie Eberhard in seiner Panik durch die Box tobt. Sie weiß, dass es das Beste ist, dass Eberhard nach Baruth kommt. Doch sie wird ihn vermissen. Sie haben viel Unterstützung in den vergangenen Monaten bekommen. Zahlreiche Besucher spendeten, die Teltower Familie Hohn eine größere Summe, die Jet-Tankstelle in Ludwigsfelde hat sich an den Benzinkosten beteiligt, die Autowerkstatt ATU in Weiden günstig einen Hängerkupplung an Dorschs Auto montiert. Ohne diese Hilfe wäre es kaum möglich gewesen, Eberhard auf Reisen zu schicken.
Dann geht es auf einmal ganz schnell. Eberhard verpasst der Harke einen letzten Schlag mit seinem dicken Schädel, springt nach vorn und verschwindet in der Kiste. Kathleen Schneider gibt ein erschrockenes „Ach herrje“ von sich, schafft es aber trotzdem rechtzeitig die Klappe zu schließen. Eberhard ist in der Kiste und alle atmen auf.
Julian Dorsch ist sich sicher, dass diese Fahrt mit Eberhard nach Baruth nicht die letzte sein wird. „Wir werden gelegentlich vorbeischauen und hoffen, Eberhard dann auch mal zu sehen.“ Der liegt derweil still in seiner Kiste und wartet auf das nächste Abenteuer.
Dirk Becker
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