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Potsdam-Mittelmark: Ein Auge im All

Das Tremsdorfer Observatorium wurde 50. Zum Geburtstag gab es Sonneneruptionen und Pioniergeschichten der Astronomie

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Das Tremsdorfer Observatorium wurde 50. Zum Geburtstag gab es Sonneneruptionen und Pioniergeschichten der Astronomie Tremsdorf - Der Fahrer auf dem Trecker stutzt, denn Autofahrer sind auf dem schmalen Asphaltweg zwischen den Feldern eher die Ausnahme. Ohne Zögern hält er auf dem Randstreifen, um der Fahrzeugkolonne Platz zu machen. Die Wagen steuern das Antennengelände des Astrophysikalischen Institutes Potsdam (AIP) an, das etwa einen Kilometer hinter Tremsdorf an der Straße nach Saarmund liegt. Gewöhnlich kommt hier nur einmal in der Woche ein Mitarbeiter des AIP vorbei, um nach dem Rechten zu sehen, denn die Daten werden seit 1995 übers Netz abgerufen. Doch der 30. Juni 2004 ist ein besonderer Tag. Genau vor 50 Jahren hat Herbert Daene mit einem Radioteleskop die solare Radiostrahlung während einer Sonnenfinsternis gemessen. Seither gilt der 30. Juni 1954 als Gründungstag des „Observatoriums für solare Radioastronomie in Tremsdorf“. Fast 100 Besucher treffen an diesem Nachmittag auf dem Gelände ein, auch Kollegen aus anderen Instituten wie Professor Ernst Fürst vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie Bonn. Er nahm gleich nach der Wende Kontakt zu den Potsdamer Sonnenforschern auf. In den Jahren zuvor sei schon Briefkontakt heikel gewesen, erzählt er, geschweige denn die Kollegen in Ostberlin persönlich zu treffen. Das hätte sie nur in Schwierigkeiten gebracht. „Für uns hatten die Potsdamer Kollegen immer eine Vorbildfunktion, was Beobachtung und Auswertung betraf", merkt er anerkennend an. Lob kommt auch vom Pariser Kollegen Dr. Ludwig Klein, der am Meudon Observatorium arbeitet, das mit dem AIP Messdaten austauscht. „Mit zwei Datensätzen kann man mehr anfangen als mit einem“, erläutert er die internationale Zusammenarbeit von Radioastronomen. Da ein Radioteleskop nur einen einzigen Radiobildpunkt darstellt, werden Antennen auf verschiedenen Kontinenten zusammengeschaltet, die so ein riesiges virtuelles Radioteleskop ergeben. Anhand dieses ganzheitlichen Bildes können die Einflüsse der Sonne auf die Erde untersucht werden. Aber die Tremsdorfer Messungen sind auch wichtig für internationale Weltraum-Missionen, wie für den japanischen Satelliten Yohkoh. Dr. Henry Aurass vom AIP erklärt, dass beispielsweise Sonnenstürme nicht nur Astronauten und Raumfahrzeuge gefährden, sondern auch elektrische Energieanlagen auf der Erde beschädigen können. Die Besucher interessierten sich vor allem für eine Computeranimation, die die gewaltigste Sonnen-Eruption zeigt, die Astronomen je gesehen haben. Sie ereignete sich in der Nacht zum 5.November 2003 und war so heftig, dass Messinstrumente ausfielen, erzählt Aurass. Schon Tage zuvor beeinträchtigte ein ähnlicher Sonnenwind das irdische Magnetfeld und störte Radar- und Sprechfunk, weshalb die Deutsche Flugsicherung den Luftverkehr um zehn Prozent kürzte. Zur gleichen Zeit wurde die Leistung der Stromnetze in den USA gedrosselt und im Weltraum wurden Satelliten abgeschaltet, so Aurass. An Sonneneruptionen kann sich auch der ehemalige Techniker Klaus Fellenberg erinnern, der bereits 1954 in Tremsdorf dabei war. „Messknechte“, nannten sich damals die Kollegen selbst scherzhaft, wenn sie Messdienst auf dem Gelände mit den Teleskopen hatten. Stets musste der Messschreiber mit Papierstreifen versorgt werden und besonders wichtig war das Nachfüllen der Schreibnadel mit Tinte, die durfte auf keinen Fall austrocknen. „Schon akustisch konnte man Eruptionen hören, dann war das Rauschen wesentlich lauter.“ Manchmal, wenn Fellenberg während seines Dienstes vor die Tür trat, stand er mitten in einer Schafherde, einen Zaun gab es damals nicht. Es kam auch vor, dass Kühe plötzlich auf dem Antennengelände grasten. Solche Zwischenfälle störten aber keineswegs die Nachbarschaft mit den Tremsdorfern. Im Gegenteil, wenn mal ein Wagen auf dem damals noch unbefestigten Feldweg stecken blieb, kamen die Bauern mit einem Traktor raus und halfen. Erst Jahre später wurde der Weg asphaltiert. Anfangs gab es nicht einmal Strom auf dem Gelände. Ein Kompressor steht noch heute in der Werkstatt und der frühere Mechanikermeister Paul Gartenschläger freut sich: „Den kenne ich noch.“ In einem Schubfach findet er eine alte Zeichnung. Ein Zahnrad, fein säuberlich auf Millimeterpapier ist darauf zu sehen: „Die ist von mir. Wir haben unsere Sachen selber gebaut, alles vom Getriebe bis zu den Empfangsapparaten.“ Heute ist die Werkstatt fast leer. Die vier Antennen werden vollautomatisch von der Sternwarte Babelsberg ferngesteuert. Vor der Wende waren noch 20 Mitarbeiter am Observatorium beschäftigt, heute sind drei fest angestellt, sagt Henry Aurass. Und: „Dass wir die Wende überlebt haben, ist unser großes Glück.“ Die Tremsdorfer Station sei die einzige ihrer Art in Deutschland, die noch regelmäßig Sonnenaktivität beobachte. Viele Vorgänge in der Sonne seien bis heute nicht erklärbar, aber die Tremsdorfer Messdaten würden dazu beitragen, manches besser zu verstehen. Aurass: „Wir sind hier so etwas wie ein Auge im All.“

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