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Entführtes Kind aus Nuthetal ist wieder zurück: Ein Ausflug nach Polen, der keiner war

Ein 37-Jähriger will die Trennung von seiner Freundin nicht akzeptieren und entführt den dreijährigen Sohn aus Nuthetal. Deutsche und polnische Polizisten verhindern eine Tragödie – den erweiterten Suizid.

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Nuthetal / Potsdam - Er hatte nach der Trennung von seiner Lebensgefährtin alle Brücken hinter sich abgebrochen und dann seinen dreijährigen Sohn entführt. Doch die Polizei ist dem offenbar beabsichtigten erweiterten Suizid eines 37-jährigen Brandenburgers am Samstagnachmittag zuvorgekommen. Der kleine Junge konnte wohlbehalten der in Nuthetal lebenden Mutter zurückgebracht werden. Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke dankte am Montagnachmittag vor allem den polnischen Polizeibehörden für ihre Unterstützung.

Bis zu 200 deutsche Ermittler seien seit Anfang Oktober mit dem Entführungsfall befasst gewesen, außerdem Einsatzkräfte aus der Warschauer Hauptkommandantur und polnische Spezialkräfte, die den Mann am Samstagnachmittag in Breslau dingfest machten und den Jungen außer Gefahr brachten: Die polnische Polizei hatte den Entführer in seinem Auto lokalisiert und konnte ihn mit dem Einsatzteam stoppen. Das Kind habe geschlafen, sei völlig unversehrt geblieben, zeigte sich Mörke erleichtert.

37-Jähriger drohte der Mutter immer mehr

Schon am 6. Oktober hatte die Mutter Anzeige wegen Kindesentziehung erstattet. Der Vater, von dem sie seit einigen Monaten getrennt lebt, hatte den Jungen am Vortag zu einem angeblichen Ausflug abgeholt. Dass er mal ein paar Tage Umgang mit dem Sohn haben kann, sei zwischen den Eltern vereinbart gewesen. Dass er in Richtung Polen untertauchen wollte, wusste die Mutter freilich nicht. Es kam nur eine Nachricht, dass der Vater den Jungen nicht vereinbarungsgemäß zurückbringen wolle.

In den darauffolgenden Tagen hätten die Mutter dann unter anderem per Post, Mail und Telefon zunehmend schärfere Drohungen erreicht, seien vom Vater Bedingungen gestellt worden, falls die Mutter das Kind noch mal sehen wolle, erzählte Einsatzleiter Andreas Dingelstadt am gestrigen Montag bei einer Pressekonferenz im Polizeipräsidium. Sie sollte Strafanzeigen zurückziehen, die sie unter anderem wegen Gewaltdelikten gestellt hatte, sollte wieder mit ihm zusammenziehen. Sie könne sich nicht vorstellen, wozu er sonst fähig sei, habe der Entführer gedroht, und dass sie ihr Kind nie wiedersehen werde.

Lang vorbereitete Geiselnahme

„Am 19. Oktober verdichtete sich das Lagebild und wir mussten fürchten, dass akute Gefahr für das Kind und den Tatverdächtigen bestand“, so Dingelstadt. „Die Forderungen waren objektiv nicht erfüllbar, der ganze Plan konnte nicht aufgehen.“ Drei Tage danach sei klar gewesen, dass sich Vater und Sohn in Polen aufhalten. Die verdeckten Ermittlungen, an der neben der polnischen Polizei auch die Potsdamer Staatsanwaltschaft, das Bundeskriminalamt, die sächsische und die Berliner Polizei beteiligt waren, hatten gezeigt, dass es sich um eine lange vorbereitete Geiselnahme handelte.

Der Kühlschrank in der Wohnung des Vaters war abgetaut, die Wohnung aufgeräumt und dem Vater des Entführers eine Generalvollmacht über das Eigentum ausgestellt worden. In den Wochen zuvor hatte der tatverdächtige frühere Bundeswehrhauptmann sein Beamtenverhältnis und danach eine Lehrstelle als Rechtspfleger an den Nagel gehangen. Von verschiedenen Seiten wurde er als psychisch labil beschrieben. Die Beamten hörten Geschichten wie die, dass der Verdächtige immer nur einmal in ein geschmiertes Brötchen beißen würde – aus Angst, es könnte danach infiziert sein. „Von der Persönlichkeitsbewertung her war klar, dass ein erweiterter Suizid möglich war“, so Dingelstadt. Alles habe danach ausgesehen, dass ein Fanal gesetzt werden sollte.

Zeitweise war unklar, ob das Kind noch lebte

Polen hatte der 37-Jährige offenbar als Fluchtziel gewählt, weil er das Land von einer früheren Dienstreise her kannte und womöglich auch, um wegen der drohenden Strafverfolgung „unter eine andere Administration zu schlüpfen“, wie Dingelstadt gestern mutmaßte. Die Fluchtroute führte über Posen, Breslau, Katowice und Krakau und kurzzeitig auch nach Tschechien. Jede Nacht schlief der Geiselnehmer mit dem Jungen in einem anderen Hotel, für die Polizei ein enervierendes Katz- und Mausspiel.

„Da er das Handy fast immer ausgeschaltet hatte und auf verschiedenen Netzwerken mit der Mutter kommunizierte, war gemeinsam mit den polnischen Behörden ein sehr großer Bereich im Blick zu behalten“, so Einsatzleiter Dingelstadt. Zeitweise sei unklar gewesen, ob der Junge überhaupt noch lebt – den Wunsch der Mutter nach einem Lebenszeichen erfüllte der Vater lange Zeit nicht.

Vater droht eine mehrjährige Haftstrafe

Das alleinige Sorgerecht liegt bei der Mutter. Der weitere Umgang des Vaters mit seinem Kind sollte demnächst offiziell vom Familiengericht geregelt werden. Jetzt sitzt er in Polen in Untersuchungshaft, es läuft ein Auslieferungsverfahren. Dem 37-Jährigen droht in Deutschland eine Haftstrafe von mindestens fünf Jahren, hieß es gestern.

Polizeipräsident Mörke warb um Verständnis, dass der Fall erst nach dem erfolgreichen Ende bekannt gemacht wurde. „Bei Entführungen gilt der Grundsatz der verdeckten Ermittlungen und operativen Maßnahmen, um das Leben des Entführten zu schützen.“ In einem von zehn Fällen würden Entführungsopfer die Tat nicht überleben.

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