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Potsdam-Mittelmark: Ein Loch in Opa Huschkes Haus
In der Nacht zum 13. August rollten Panzer durch Caputh. Einer bekam die Kurve nicht.
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Schwielowsee - August Huschke hatte schon viel erlebt: Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich, DDR, zwei Kriege. In seinem Caputher Haus saß der wortkarge 89-Jährige häufig am offenen Fenster und schaute seinen Zigarre-Wolken hinterher. Viel erzählt hat er nie, beim Bäcker ging er still an der Schlange vorbei und holte vorn am Thresen seine Brötchen ab. Auch über den 13. August 1961 sind keine Aussagen von ihm überliefert. Trotz seines langen Lebens dürfte ihn der Morgen nicht unberührt gelassen haben.
Dutzende sowjetische Panzer fuhren damals durchs Dorf. Einer bekam in der Ecke Straße der Einheit / Weberstraße die Kurve nicht – und pflügte durch den schmiedeeisernen Zaun und das schmale Vorgärtchen in Huschkes Haus. Das Kanonenrohr durchschlug die Mauer neben dem Bett seiner pflegebedürftigen Tochter. Krachen, Poltern, Staub.
Eberhard und Heidi Thiel, die seit einigen Monaten auf der anderen Straßenseite wohnten, waren Augenzeugen. „Wir waren zeitig vom Motorenlärm aufgewacht. Draußen sahen wir dann fassungslos die Panzer rollen und schalteten Rias ein“, so Heidi Thiel. Dann das Missgeschick des Panzerfahrers: Er habe abgebremst und sich rückwärts wieder in die Kolonne eingereiht. In der Hausfassade hinterließ er ein beachtliches Loch.
Thiels hatten gerade geheiratet – das ebnete den Potsdamern den Weg zur Dienstwohnung der Post in Caputh, wo Heidi Thiel seitdem arbeitete. Dass der Mauerbau bevorstand, hatte die Postangestellte mit ihrem Mann gespürt: Einige Tage zuvor waren dem jungen Paar von der Stasi die Papiere abgenommen worden. Unter Androhung von Arbeitslager wurde Eberhard Thiel genötigt, seinen Elektrikerjob in Westberlin gegen einen bei der Potsdamer Energieversorgung zu tauschen. Die Radionachricht an jenem Sonntag habe ihn nicht überrascht, so Eberhard Thiel. „Es war klar, dass die Panzer etwas damit zu tun hatten.“
Das Militär war zwar nicht unmittelbar am Berliner Mauerbau beteiligt, um den Westen nicht zusätzlich zu provozieren, so DDR-Militärexperte Rüdiger Wenzke vom Militärhistorischen Forschungsamt Potsdam. Es sei aber in die geheime „Aktion Rose“ eingebunden gewesen. Am 13. August um 0 Uhr wurde Gefechtsalarm ausgelöst. Ein Kilometer hinter den neuen Grenzanlagen stellte sich die 8. Motschützendivision der NVA mit 3000 Mann, 100 Panzern und 120 Schützenpanzerwagen bereit. Der Außenring wurde von der 1. Motschützendivision mit der 20. Gardearmee der Sowjetarmee besetzt. Deren in Potsdam stationierte Bataillone fuhren offenbar durch Caputh, so Wenzke. „Man hat mit allem gerechnet.“
Dass da was im Gange ist, sei schon am Vortag zu spüren gewesen, erinnert sich die Caputherin Christa Böttge, die damals 27 Jahre alt war. Am Samstag wurde das erste Caputher Heimatfest am Gemünde gefeiert. Am Abend fuhr ein mit Lampions geschmückter Bootskorso durch die Havel. Auf Geltower Seite habe Unruhe geherrscht. „Stimmen und Gemurmel haben wir gehört“, so Böttge. Womöglich wurden die Rotarmisten langsam ungeduldig. „Zu sehen war aber hinter den Bäumen nichts.“ Als später die Panzer rollten, seien ihre Tränen gekullert. „Es war schrecklich.“
Der Geltower Rudolf Klein war seinerzeit Transportpolizist bei der Bahn. Einige der damaligen Geschehnisse hat er selbst erlebt, anderes aus Gesprächen erfahren. So weiß er, dass Fährmann Bastian am Spätabend des 12. August schriftlich vom Rat des Bezirkes angewiesen wurde, den Befehlen eines sowjetischen Offiziers Folge zu leisten. 22 Uhr wurde die Fähre außer Betrieb genommen und im Gemünde festgemacht, die Strömung soll sie in der Nacht auf den Schwielowsee getrieben haben. In kürzester Zeit wurde am Fährübergang eine Pontonbrücke errichtet. Dann seien 300 Panzer und 200 weitere Militärfahrzeuge über die wackelnde Brücke gerattert, bis in den Vormittag des kommenden Tages.
Die Pontons hatten an der Mole des Campingplatzes Himmelreich bereitgelegen, dort sei der Aufbau zuvor trainiert worden, weiß Klein. Auch Eisenbahner am Bahnhof Caputh-Geltow hatten schon Tage vorher geprobt, schützende Metallplatten auf die Schienen zu legen und wieder abzubauen. Denn der Zugverkehr lief weiter: Die Panzer mussten immer wieder an den Schranken warten, bevor sie ans Ziel konnten. In den Wäldern zwischen Caputh und Michendorf standen sie dann am 13. August in Alarmbereitschaft. An der Michendorfer Chaussee sind noch Spuren der Unterstände zu sehen.
„Opa Huschkes“ Haus sah derweil aus „wie eine Puppenstube“, erinnert sich die Ortschronistin Carmen Hohlfeld, die damals als elfjähriges Mädchen das Treiben verfolgt hatte und zu den Geschehnissen recherchiert. Trotz des Feiertags hätten Handwerker sofort mit den Reparaturarbeiten begonnen, Fassade und Fenster wurden mustergültig repariert, auch der schmiedeeiserne Zaun, der bis heute vor dem Haus steht. Nur auf der gepflasterten Straße der Einheit sollten noch bis weit nach der Wende die Spuren jener Nacht zu sehen sein, sie war völlig zerfahren. August Huschke konnte auch das nicht umbringen: Er wurde 104 Jahre alt.
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