Potsdam-Mittelmark: Eine neue Erinnerungskultur
Mehr als 100 Bundeswehrsoldaten ließen bei Auslandseinsätzen ihr Leben. In der Gedenkstätte in Geltow wird nun an sie erinnert
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Schwielowsee – Kurz vor dem Ende des Kampfeinsatzes in Afghanistan gibt es nun einen Ort der Erinnerung an die dort und in anderen Auslandseinsätzen ums Leben gekommenen deutschen Soldaten. 104 sind es insgesamt, 55 davon starben in Afghanistan. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat den „Wald der Erinnerung“ am Samstag im Beisein von Bundespräsident Joachim Gauck und Angehörigen der getöteten Soldaten am Standort des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Geltow vor rund 700 Gästen eingeweiht.
Durch das baumreiche Gelände der Henning-von-Tresckow-Kaserne führt jetzt ein 150 Meter langer Pfad, den sieben Stelen mit den Namen der ums Leben gekommenen Soldaten säumen. Der Name von Tanja Menz’ ältestem Sohn steht auf einer der Stelen. Sie war eine der 190 anwesenden Hinterbliebenen bei der Eröffnung am Samstag. Tanja Menz verlor ihren ältesten Sohn Konstantin im Februar 2011. Er kam mit zwei weiteren Kameraden bei einem Attentat in Afghanistan ums Leben.
„Heute ist für viele Hinterbliebene ein besonderer Tag“, so Tanja Menz. „Auf kleinem Ort können wir hier eine weite Reise unternehmen. Ab heute sind es nur noch wenige Schritte bis nach Sarajevo und Afghanistan“, sagte sie mit Augenmerk auf die Ehrenhaine, die den Stelenpfad flankieren. Diese Haine bilden die Kernelemente des etwa 4500 Quadratmeter großen „Waldes der Erinnerung“. Solche Ehrenhaine werden bei Auslandseinsätzen von Soldaten initiiert, die in der laufenden Mission Kameraden verloren haben, und sind mit einfachsten Mitteln gestaltet.
Fünf Ehrenhaine, unter anderem aus dem Kunduz, sind mittlerweile auf Lichtungen des Waldes rekonstruiert worden. Zwei weitere aus Prizren im Kosovo und dem afghanischen Masar-i-Scharif, wo sich die Bundeswehr noch im Einsatz befindet, sollen folgen. An den Bäumen selbst können Angehörige von Soldaten und zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr, die bei Dienstunfällen im Inland starben, Gedenkschilder anbringen. Die Mutter der Matrosin Jenny Böken, die im September 2008 nach einem Sturz vom Segelschulschiff „Gorch Fock“ ertrank, pflanzte dort mit von der Leyen eine junge Eiche. Ein älterer Baum trägt eine Plakette mit dem Namen ihrer Tochter. „Das ist der Beginn einer neuen Erinnerungskultur“, so Böken. „Hier schlagen jetzt die Herzen aller Toten zusammen.“
Der Wald solle ein „Ort der Besinnung“ sein, sagte von der Leyen. Am 22. Dezember 2013, vor fast einem Jahr, habe sie den Soldaten in Afghanistan ihren ersten Besuch abgestattet. Sie werde den Moment nicht vergessen, als sie dort vor dem Ehrenhain stand. Für Soldaten im Einsatz seien die Ehrenhaine das emotionale Herzstück jedes Camps. Weswegen die Bundeswehr auf Wunsch der Kameraden und der Angehörigen der Gefallenen die Ehrenhaine beim Verlassen der Feldlager abbaute und mit nach Deutschland nahm.
„Wir müssen uns immer wieder die Tragweite unserer Entscheidungen vor Augen führen“, sagte von der Leyen. „Der Soldat oder die Soldatin hat nicht die Wahl. Sie müssen gehen.“ Tanja Menz mahnte in ihrer Ansprache für künftige Bundeswehreinsätze mehr Offenheit und Transparenz über die Ziele des Einsatzes an. „Ich wünsche mir, dass es niemals nötig wird, dass wir in diesem Wald Platz für weitere Ehrenhaine schaffen müssen.“
Gewidmet ist der „Wald der Erinnerung“ allen mehr als 3200 seit 1955 im Bundeswehrdienst verstorbenen Soldaten und zivilen Beschäftigten. Gestaltung und Lage tragen aber vor allem den Auslandseinsätzen der Truppe Rechnung. In der Henning-von-Tresckow-Kaserne sitzt das Einsatzführungskommando, das die Einsätze in Kriegs- und Krisengebieten plant und leitet. Die Standortwahl wurde im Vorfeld zum Teil stark kritisiert. Auch am Samstag war das ein Thema.
Die Angehörigen der getöteten Soldaten, die an der Planung beteiligt wurden, hielten sich mit öffentlichen Äußerungen zwar zurück, im persönlichen Gespräch äußern Einzelne von ihnen aber Zweifel, ob Geltow der richtige Ort für eine solche Gedenkstätte ist. Einige hätten sich einen Platz mitten in Berlin und damit mitten in der Gesellschaft gewünscht, vor dem Bundestag etwa, der die Mandate für Auslandseinsätze erteilt. Reinhold Robbe, früher Wehrbeauftragter des Bundestages, findet sogar, die Soldaten würden regelrecht versteckt. Er spricht von einer verfehlten Gedenkkultur. Das schon 2009 am Bendlerblock errichtete Ehrenmal der Bundeswehr ist zwar öffentlich zugänglich, aber an einer eher abgelegenen Stelle.
Neben Stabsfeldwebel Lutz Wendt, der sich vor anderthalb Jahren ebenfalls noch einen öffentlicheren Gedenkort gewünscht hatte, machte auch von der Leyen bei der Eröffnung deutlich, dass es vor allem der Wunsch der Angehörigen war, dass der „Wald der Erinnerung“ an diesen Ort kommt. „Schmerz und Trauer brauchen auch Geborgenheit“, so von der Leyen. „Ich finde den Ort genau richtig“, betonte auch Tanja Menz. Sie gehört zum „Netzwerk der Hilfe“. Diese Initiative war es, die vor zwei Jahren den Vorschlag zur Schaffung eines „Waldes der Erinnerung“ einbrachte. Nach Angaben der Bundeswehr kostete das Projekt zwei Millionen Euro, die Stätte sei für jedermann offen.
Wer dem Gedenkwald, der sich aufgrund seiner Lage auf dem Kasernengelände im militärischen Sicherheitsbereich befindet, einen Besuch abstatten möchte, muss sich allerdings am Kasernentor melden und seinen Personalausweis hinterlegen. Anschließend wird man zum „Wald der Erinnerung“ geführt. (mit afp/dpa/hkx)
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