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Potsdam-Mittelmark: Eine Woche ohne Sorgen

In Glindow sollen Kinder mit unheilbar kranken Geschwistern unbeschwerte Ferien verbringen

Von Enrico Bellin

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Werder (Havel) - Jamaikanische Steel- Drum-Klänge begrüßen Besucher der Streuobstwiese hinter dem Glindower Gewerbegebiet. In den freundlich-metallischen Klang mischt sich das Lachen von Kindern aus einem Plastik-Pool. Sie sind zwischen drei und fünfzehn Jahre alt und haben eines gemeinsam: unheilbar kranke Geschwister.

„Wir wollen den gesunden Geschwistern hier die Zeit geben, den Garten zu genießen und sich etwas von ihren Alltagssorgen zu lösen“, sagt Karin Wisener, Vorsitzende des Vereins Zuckerbaum, der die Ferienwoche auf der Obstwiese organisiert. Wisener gehört das Grundstück, auf dem sich die Kinder noch bis Samstag erholen können. Jeden Morgen werden sie aus ihren Wohnungen in Potsdam, Brandenburg / Havel und dem Umland nach Glindow gefahren, abends geht es zurück. „Wir haben uns die Kinder nach dem Schweregrad der familiären Situation ausgesucht“, so Wisener. Wer die Auszeit am nötigsten hat, darf sich seit Montag auf der Wiese austoben. Eltern, die sich um ein schwer krankes Kind kümmern müssen, fehle oft das Geld oder die Zeit für die Betreuung ihrer gesunden Kinder, sodass sie oft zu kurz kommen. In der Regel fällt der Vereinsvorsitzenden zufolge auch noch ein Einkommen weg, da sich ein Elternteil ganz um das Kind kümmern muss, wenn es beispielsweise an Krebs erkrankt ist. „Bis zu 80 Prozent der Familien zerbrechen an der Krankheit ihres Kindes“, so Wisener.

Was es heißt, ein schwerkrankes Kind großzuziehen, weiß die 40-jährige Mandy Bürger aus Potsdam. Ihr Sohn Jamie kam in der 35. Schwangerschaftswoche gesund zur Welt, hat sich aber in der Klinik mit dem Herpes-Virus infiziert. Da der Infekt erst mit zwei Wochen Verzögerung erkannt wurde, konnte das Virus Teile vom Gehirn des heute Zweijährigen zerstören. Jamie leidet an epileptischen Anfällen, hat Muskellähmungen und eine Entwicklungsstörung. „Seine beiden großen Brüder können keine Freunde mit nach Hause bringen, da Jamie den Lärm nicht vertragen würde.“ Während der Woche auf der Wiese darf der neunjährige Bruder Elias einmal so laut sein, wie er möchte, auch Mutter Mandy kann für kurze Zeit abschalten. Um Jamie kümmert sich eine von bis zu 15 Ehrenamtlichen, die in Glindow vor Ort sind.

Eine der Betreuerinnen übt jeden Tag mit den Kindern Zirkustricks am Trapez ein, andere toben sich auf dem Einrad aus. Wer will, kann aber auch einfach entspannt auf der Wiese liegen oder die jetzt schon reifen Klaräpfel pflücken. Finanziell unterstützt wird die Woche auf dem Land vom Ministerium für Bildung und Forschung. Mehr als 20 000 Euro für die Betreuer und das Essen vor Ort schießt der Bund zu.

Von dem Geld wird auch eine Musiktherapeutin bezahlt, die täglich nach Glindow kommt und mit den Kindern musiziert. Bereits vor einem Jahr, beim ersten Sommercamp, haben sie gemeinsam Instrumente gebastelt, die noch immer in den Apfelbäumen hängen. So erklingen immer wieder spontan Xylophone oder Windspiele auf der kleinen Plantage. Jeden Morgen bilden die Kinder zur Begrüßung einen Kreis. Dann soll beispielsweise jeder von ihnen einmal auf einem großen Xylophon seinen Herzschlag nachahmen. „Anhand der Spielweise bekommen wir dabei sehr schnell mit, ob unsere Schützlinge traurig oder gut drauf sind“, sagt Martina Geiersberg. Sie ist Koordinatorin der Björn-Schulz-Stiftung, die die Familien zu Hause betreut. Zuerst merke man den Kindern den Stress durch die kranken Geschwister nicht an. „Im Verlauf der Woche kommt die Thematik dann aber doch hoch und es gibt traurige Momente“, so Geiersberg. Dann sei es gut, wenn sie mit anderen Kindern mit ähnlichen Erfahrungen reden können. Auch die Mütter tauschen sich hier aus. „In der Leistungsgesellschaft fühlen sich die Familien oft an den Rand gedrängt, da sie durch die kranken Kinder einfach weniger schaffen“, beschreibt die Koordinatorin. Auch die Potsdamer Mutter nutzt den Austausch mit anderen Familien. „Es ist schwierig, gute Ärzte für seltene Krankheiten zu finden“, sagt Mandy Bürger. Da seien die Erfahrungen anderer ein wichtiger Hinweis, um Vertrauen zu einem Arzt zu schöpfen.

Damit sich die Familien regelmäßig helfen können, lädt der Verein Zuckerbaum mehrmals im Jahr auf die Streuobstwiese in Glindow ein. Unter anderem haben Mitglieder des Werderaner Obstbauvereins den Kindern hier schon gezeigt, wie man Obstbäume bestimmen kann. Im Winter gab es ein Picknick bei 18 Grad Celsius unter Null, bei dem am Lagerfeuer Stockbrot gebacken und der Rodelhügel eingeweiht wurde. Solche Aktionen muss der Verein aus Spendengeldern bezahlen. Dafür stellen sich die Mitglieder schon einmal zur Baumblüte auf die Plantage, um Obstwein, Kuchen und Schmalzbrote zu verkaufen. Die nächste Aktion für die Kinder findet im Herbst statt, dann können sie Obst ernten.

Spendenkonto: Zuckerbaum e.V., Konto-Nr.: 190227478, Blz.: 10050000, Berliner Sparkasse

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