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Wenig effektiv. Bekämpfung des Spinner vom Boden aus.

© Thilo Rückeis

Eichenprozessionsspinner: Es geht nur mit dem Helikopter

In Kommunen setzt sich die Auffassung durch, dass auch in Siedlungsbereichen von oben gespritzt werden muss.

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Schwielowsee / Potsdam - Es sind nicht allein die Dutzenden Anwohnerbeschwerden: Die Campingplätze hatten erhebliche Einbußen, der Radlertourismus ist zurückgegangen und es gibt Meldungen von Gästen wie der, dass das Kind beim Baden im See mit geröteter Haut aus dem Wasser gerannt kam. Abreise am selben Tag! Der Eichenprozessionsspinner hat die Gemeinde Schwielowsee in diesem Jahr fest im Griff. Manches Touristikunternehmen fürchtet um das Image des Erholungsortes, als Beispiel für verprellte Gäste will man nicht in der Zeitung stehen.

Auch wenn das Rathaus die Schmetterlingsraupe, deren Larvenhäute und Haare auch im vertrockneten Zustand noch toxische Haut- und Schleimhautreizungen bis hin zu schwersten Asthmaanfällen hervorrufen können, in einigen öffentlichen Bereichen bekämpft hat: Bürgermeisterin Kerstin Hoppe (CDU) ist klar, dass das nicht reicht. Aber ihr sind die Hände gebunden: Kaum eine Gemeinde im Land ist so massiv von dem Schädling befallen wie ihre. Eichenwälder, saftige Eichenalleen und uralte Solitäre: Das macht den Zahnspinnern Appetit.

Mit Nuthetal ist Schwielowsee die einzige Kommune in einer Arbeitsgruppe mehrerer brandenburgischer Landesministerien, in der es um die Bekämpfung des Schädlings geht. Die Arbeitsgruppe hat am 24. September erstmals getagt. Wichtigstes Ziel: Über eine flächendeckende Bekämpfung zu beraten und die rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz des „Bacillus thuringensis“ gegen den Spinner zu verbessern. Er wird deutschlandweit unter dem Namen „Dipel ES“ als biologisches Pflanzenschutzmittel eingesetzt, die selektiv auf Schmetterlingsraupen und Larven weniger anderer Insekten wirken, wenn sie es fressen.

Nach Angaben aus dem Infrastrukturministerium wurde das hochwirksame Mittel per Hubschrauber in diesem Jahr auf 770 Hektar Eichenwald eingesetzt. Besonders im Westen des Landes frisst der Spinner die Baumkronen kahl. Anders als die Forstverwaltung bekämpfen die meisten Kommunen den Schädling derweil immer noch mit Hebebühnen von unten, indem sie die Nester mechanisch absaugen, abbrennen oder abschwemmen. Das ist umständlich, teuer und wenig effektiv. Laut Pflanzenschutzrecht geht es aber nicht anders: Die Befliegung mit Dipel ES, die Anfang Mai erfolgen muss, ist in Siedlungsbereichen und auf Straßen verboten.

Zunehmend setzt sich allerdings eine andere Rechtsauffassung durch, die auch der Städte- und Gemeindebund Brandenburg vertritt: Was den Schädlingsbefall in Siedlungsbereichen angeht, sei nicht das Pflanzenschutz-, sondern das Gesundheitsschutzrecht anzuwenden, so Referatsleiter Thomas Golinowski. „Damit käme dann wiederum das Ordnungsrecht ins Spiel.“ Die Rechtsgüter müssten gegeneinander abgewogen werden.

Problem: Dipel ES ist auch nicht ohne. Unverdünnt kann es beim Kontakt zu sensiblen Hautreaktionen kommen – nichts im Vergleich zu den toxischen Reaktionen, die durch den Eichenprozessionsspinner hervorgerufen werden können, wie es von Fachleuten und Medizinern heißt. Zudem wird Dipel ES vor dem Versprühen stark verdünnt. Gesundheitsgefährdungen sind in verdünnter Form nicht mehr dokumentiert. „Auch wenn es keine abschließenden Studien zur Befliegung gibt, spricht im Ergebnis einer Abwägung viel für den Einsatz von Dipel ES“, meint Golinowski.

So ähnlich hat man es im Havelland gesehen – dem einzigen brandenburgischen Landkreis, der die Bekämpfung des Eichenprozessionsspinner in diesem Jahr selbst in die Hand genommen hat. Pressesprecher Erik Nagel berichtet, wie im entscheidenden Larvenstadium im Mai mit dem Hubschrauber in Abstimmung mit den betroffenen Kommunen und dem Landesstraßenbetrieb zweieinhalb Tage lang Straßen Parks, Grünflächen und Alleen abgeflogen wurden – 550 Hektar insgesamt. Die beflogenen Bereiche wurden für die Aktion jeweils kurzzeitig gesperrt. Meldungen über Gesundheitsschäden oder Hautsensibilisierungen durch Dipel ES gab es keine – nur von einer Schule in Falkensee, die versehentlich überflogen wurde, als noch Kinder auf dem Schulhof waren. „Als wir da waren, war das aber schon nicht mehr verifizierbar.“

Die Kosten, so Nagel, hat man sich geteilt. „Da das ein gemeinsamer Auftrag war, war das nicht sehr teuer.“ Der Bio-Insektizid-Einsatz habe 80-prozentig gewirkt, Beschwerden über den Eichenprozessionsspinner hat es im Havelland seitdem kaum noch gegeben.

Bürgermeister und Amtsdirektoren der Mittelmark haben sich am Mittwoch zu dem Thema in ihrer Arbeitsgruppe beraten – und wollen Landrat Wolfgang Blasig (SPD) jetzt vorschlagen, genau wie im Havelland vorzugehen. Schwielowsees Bürgermeisterin Kerstin Hoppe würde es sehr begrüßen, wenn das kommende Jahr für Gäste und Anwohner wieder störungsfrei verlaufen könnte. Ein weiteres Aussitzen, fürchtet sie, könnte die Lage drastisch verschlimmern. Henry Klix

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