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Von Kirsten Graulich: Farbenfeuer neben den Amtsstuben

Ausstellung des Zirkels „Behinderte malen“ im Teltower Rathaus: Auf den zweiten Blick offenbart sich das Besondere

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Teltow - Als Kurt Zieger die Bilder seines Zirkels „Behinderte malen“ ins Teltower Rathaus hängte, erfuhr er überraschend viel Zuspruch von Besuchern, die den Flur der ersten Etage durcheilten. Manche blieben aber dann doch neugierig stehen angesichts des Farbenfeuerwerkes neben den Amtsstuben. Auf den ersten Blick hält man die Arbeiten für Kinderzeichnungen und erst beim zweiten offenbart sich das Besondere.

Da ist Heikos Apfelhälfte, die zur Landschaft wird und beweist, dass die Grenzen körperlicher und geistiger Beweglichkeit keine Grenzen sind für künstlerischen Ausdruck, für Kraft und Fantasie. Auch manche Bäume werden, wie bei Dorothea Michael, zu wahren Lichtorgeln. Bärbel Bethkes Häuser mit den tanzenden Schornsteinen lassen den Betrachter nicht los, denn beim Aneinanderreihen der Fenster hat sie eine ganz eigene grafische Grammatik entwickelt.

Seit 18 Jahren gibt es den Zirkel „Behinderte malen“ unter dem Dach der Teltower Jugendkunstschule. Die Teilnehmer arbeiten überwiegend in den Werkstätten des Evangelischen Diakonissenhauses Berlin Teltow Lehnin. Anfangs hatten sie noch Mühe, mit Stift und Pinsel umzugehen. Dass sich Geduld und Beharrlichkeit gelohnt haben und sie sich so neue Erfahrungsräume erschließen konnten, beweist die aktuelle Ausstellung im Rathaus.

Inzwischen hätten einige Teilnehmer eine Produktivität entwickelt, mit der sie bereits allein Ausstellungen bestücken könnten, berichtet Kurt Zieger. Als dem Grafiker der Zirkel angetragen wurde, auf Vorschlag der Erzieherin Sigrid Schrnagel, wandte er noch ein, eigentlich kein Pädagoge zu sein. Inzwischen erwies sich das aber als positiv. Seither sieht er sich vor allem als Ermutiger und manche Arbeiten lassen auch ihn staunen, denn der Künstler in ihm ist zunehmend vom Charme der Arbeiten beeindruckt und gesteht offen, manchmal auch Anregungen zu erhalten für eigene Arbeiten. „Die Küken von Ute Meyer“, sagt Zieger, „könnte man glatt als Logo verwenden“. Bei Dagmar Seniuta wachsen die Linien förmlich auf dem Papier zusammen – oft symmetrisch zur Mitte des Blattes hin. „Sie findet so ihre innere Ruhe“, meint Zieger. Auch ihre Farben strahlen Ruhe aus, zunehmend sind es vor allem gedeckte Töne, die sie gegen leuchtende setzt. Sie macht das so unbefangen und sicher zugleich als habe van Gogh Pate gestanden, erzählt der Zirkelleiter: „Das Verblüffende dabei ist, dass sie gar nicht weiß, wer van Gogh war, geschweige denn ein Kunstbuch in der Hand hatte.“

Wenn Zieger seiner Zirkelgemeinschaft Aufgaben stellt, beispielsweise einen Karton zu zeichnen, um sie etwas über Perspektive zu lehren, erlebt er auch Überraschungen. So lagen im Karton von Simone Körting plötzlich große dicke Bonbons, die sie hineinmalte, damit es darin nicht so leer ist. Auffallend in dieser Ausstellung sind auch die sehr reifen Arbeiten von Inge Gamerro, die genaue Beobachtung verraten und viel Sinn für Details. Wer sich von der Heiterkeit der Bilder dieser Ausstellung anstecken lässt, erhält einen Einblick in Innenwelten, die den meisten nicht zugänglich sind. Was Betrachter so fröhlich stimmt ist, dass sich diese Künstler nicht an die vermeintlichen Normen halten. Ja, sie setzen sich einfach über Beschränkungen hinweg, die sich Profikünstler oftmals auferlegen. Bewegt sie ein Thema wird es spontan und emotional aufs Papier gebracht. Emotionen sind in der Kunst ein wichtiger Aspekt und es verlangt Mut, nicht zu verkopft ans Werk zu gehen, sondern intuitiv der inneren Stimme zu folgen. In der Kunst, das zeigt diese Ausstellung deutlich, gibt es keine Einteilung in normal und unnormal, es gibt nur Einmaligkeit.

Kirsten Graulich

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