Von Ute Kaupke: „Fast verrückt vor Angst“
Die 86-jährige Katarzyna Frankowska erzählte in Nuthetal vom Schicksal als Zwangsarbeiterin
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Nuthetal - Wurde die Familie von Katarzyna Frankowska denunziert? Katarzyna und ihr Vater wussten sofort, warum die Deutschen sie im März 1941 aus dem Haus im weißrussischen Horodo holten. Eine Woche zuvor hatten sie Partisanen Essen gegeben. Auf einem Lkw zusammengepfercht, gab ihr die Gegenwart des Vaters Trost. Plötzlich mussten viele Männer weg, auch ihr Vater wurde im Laufschritt zu einer Scheune gejagt. Der Lkw fuhr mit ihr weiter. „Fast verrückt vor Angst“ und hungrig ging es in Viehwaggons gen Westen. Eine Woche lang. In Neumünster wurde sie vom Arbeitsamt wie auf dem Viehmarkt einem Landwirt zuerst nach Heide / Schleswig-Holstein vermittelt. Aus dem einzigen Brief ihrer Schwester, der sie erreichte, erfuhr die 18-Jährige, dass die mit Menschen überfüllte Scheune von den Deutschen verriegelt und angezündet worden war.
Nie wieder wollte sie deutsch sprechen. Bis 2007 hat sie deutschen Boden nicht mehr betreten. Ihre Enkelin Agnieszka Olienkieviecz schaffte es, Großmutters Erinnerungen „auszugraben“ und aufzuschreiben. Bei einem Wettbewerb der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ erhielt sie dafür einen Preis. Im Jahr 2007 begegnete Katarzyna Frankowska nach 66 Jahren erstmals in Heide ihrer Vergangenheit.
In Zusammenarbeit von Heinrich-Böll-Stiftung, Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ und der Aktion Tschernobyl-Kinder Wilhelmshorst ist sie nun zu einer Lesereise erneut im Land. „Ich habe nicht damit gerechnet, hier so herzlich empfangen zu werden“ sagte sie am Mittwoch in Bergholz-Rehbrücke. Auf Einladung des Ortsvereins Bergholz-Rehbrücke besuchte sie die Überreste des ehemaligen Zwangsarbeiterdurchgangslagers am Bahnhof und die vom Verein im Jahr 2005 aus Spenden errichtete Gedenktafel. Die ehemalige Entwesungsbaracke auf diesem Areal beginnt mittlerweile zu verfallen. Sie ist in Privatbesitz, und der Kommune sind die Hände gebunden. Katarzyna Frankowska erfuhr von der Vereinsvorsitzenden Erika Haenel und der Bergholz-Rehbrücker Ortsvorsteherin Annerose Hamisch-Fischer vom regen Kontakt zu ehemaligen Zwangsarbeitern aus Holland, die im 2. Weltkrieg aus diesem Lager zur Arbeit in Rüstung und Dienstleistungsgewerbe vermittelt wurden.
Am Abend war im Mehrgenerationenhaus Gelegenheit, mehr aus dem Leben von Katarzyna Frankowska zu erfahren. Sie erzählte, wie sie von Heide nach Tönning kam und dort in einem Hotel arbeiten musste. Im Januar 1944 verliebte sie sich in den Zwangsarbeiter Ryszard Frankowski, der beim Wasserbauamt nebenan tätig war. Trotz dieses Glücks war das Leben schwer auszuhalten. Ab September 1944 durften Ausländer nicht mehr in Hotels arbeiten. Wieder in Heide musste sie in der Maschinenfabrik Köster schuften, die schlimmste ihrer Stationen. Nachrichten gelangten nur schwer an ihre Ohren. Plötzlich war der Krieg aus. Von den Engländern als „Displaced Persons“ interniert, ließen Ryszard und sie sich in einer provisorischen Kirche trauen. Im Herbst 1945 trafen sie in Ryszards Heimat ein, 140 Kilometer westlich von Warschau. Mit Hilfe des Roten Kreuzes fand Katarzyna Frankowska Mutter und Schwestern in der damaligen Sowjetunion wieder. Drei Frauen der Familie, Ryszard und dessen Vater hatten den Krieg als Zwangsarbeiter erlebt.
Allein 1,7 Millionen Polen wurden im Zweiten Weltkrieg zur Arbeit gezwungen. Erika Haenel berichtete, dass auch auf den Bergholzer Bauernhöfen und in Saarmunder Haushalten Zwangsarbeiter eingesetzt waren. Sie erinnert an den Polen, der auf dem Mühlenberg nahe der Kirche gehängt wurde, weil er angeblich einer Bauerstochter zu nahe gekommen sei – bedrückende Rechtlosigkeit.
Ute Kaupke
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