Erinnerungen aus Afghanistan: Feldpost nach Werder
André Deinhardt hat seinen achtmonatigen Afghanistan-Einsatz in Briefen an seine Freundin dokumentiert. Zehn Jahre später hat er sie in einem Buch veröffentlicht.
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Werder (Havel) - Kabul, 27. Januar 2005. Für André Deinhardt war es ein sehr langer Tag. Auf der Straße nach Jalalabad, der wichtigsten Versorgungsstrecke in Richtung Pakistan für die ISAF-Streitkräfte und die Bewohner der Hauptstadt, hat es stark geschneit. Kein Durchkommen, dreihundert Menschen sitzen in Bussen fest und drohen, bei minus 15 Grad zu erfrieren. Als eine ISAF-Patrouille nach zwei Stunden fast ins Tal durchgedrungen ist, heißt es, die Afghanen hätten die Situation geklärt. Drei Tage später erfährt Deinhardt, dass die Busse immer noch feststeckten. „Eine schreckliche Vorstellung, wenn man sich überlegt, dass ganze Familien nur das Nötigste für die Reise dabeihatten.“ Erneut wird eine Patrouille losgeschickt, vier Menschen sind erfroren.
Deinhardt schreibt es seiner Freundin Catherina nach Werder. Zehn Jahre später findet sich die Episode in einem Buch wieder. Deinhardt fand, es sei an der Zeit, die Feldpost zu veröffentlichen – als Puzzlestein in der Rückschau auf diesen Krieg. Als 18-Jähriger war er 1995 zur Bundeswehr gegangen. Die Aussicht, schnell Verantwortung übernehmen zu können, die Ausbildungschancen und die Absicherung hätten ihn zur Truppe gebracht, erzählt er. Nach der Offiziersausbildung studiert er Staatswissenschaften, später promoviert er zur Rolle der Panzergrenadiere im Kalten Krieg. 2004 wird der gebürtige Dresdner Kompaniechef beim Panzergrenadierbataillon 421 in Brandenburg (Havel).
Immer wieder schreibt er über Unfälle und Minenopfer
Im Jahr 2005 ist er in Afghanistan, für den 7. Einsatzverband der ISAF koordiniert er Operationen im Südosten Kabuls und dessen südöstlichem Umland und betreut auch mehrere Entwicklungsprojekte. Aus dieser Zeit stammen die Briefe nach Werder. Die Straße nach Jalalabad ist immer wieder ein Thema darin. Eis, Geröll und liegen gebliebene Fahrzeuge machen die Piste im Winter kaum passierbar. In einer von ihm geplanten Operation werden 120 Tanklastzüge durchgelotst. Dass die Strecke für 16 Stunden für private Fahrzeuge gesperrt ist, führt zu Streitereien und sogar einem Schusswechsel zwischen Soldaten und Einheimischen.
Es wird nicht besser: Als die Schneeschmelze einsetzt, werden Minen und Geschosse aus den Bergen auf die Straßen gespült. Immer wieder schreibt Deinhardt von Unfällen und Minenopfern. Auch die ISAF-Kräfte sind natürlich Ziel von Anschlägen. Einmal gibt es einen Minenunfall mit Kameraden auf einer Strecke, die Deinhardt selbst am Vortag befahren hat. Doch kommen die Soldaten in ihren gepanzerten Fahrzeugen oft mit leichten Verletzungen davon, während unbeteiligte Afghanen meist tödlich getroffen werden.
"Ein Fluch für die Menschen, die hier leben müssen"
Selbstmordattentäter aufhalten, Besuche westlicher Politiker absichern, vor allem aber die Zahl der Waffen zu dezimieren sind die Kernaufgaben der multinationalen Truppe, an der hauptsächlich deutsche, aber unter anderem auch türkische, bulgarische, kanadische und spanische Kräfte beteiligt sind. Die Terroristenjagd wird derweil von externen Spezialkommandos übernommen. Deinhardt erfährt wenig davon, ihn ärgert die Geheimniskrämerei, wo doch der stockende Informationsfluss das größte Problem darstellt.
Die 500 Mann starke ISAF-Einheit hat mehr als genug zu tun, ist für die Sicherheit in einer 1900 Quadratkilometer großen Region zuständig. Von den afghanischen Sicherheitskräften, vor allem aber von Stammesführern werden Hinweise zu Waffenlagern eingesammelt, die dann erkundet und in die Luft gesprengt werden, fast 300 sind es während Deinhardts achtmonatigem Einsatz. „Mir kommt es manchmal vor, als wäre das ganze Land voller Minen, Waffen und Munition. Das ist ein Fluch für die Menschen, die hier leben müssen“, schreibt er an Catherina.
Armut und Ausweglosigkeit sind Alltag
Er berichtet in seinen Briefen fast lakonisch über seine Operationen. Schilderungen über lebensgefährliche Erkundungen finden sich zwischen Dankesworten für die Päckchen mit Spaghetti und Pesto oder dem Diebstahl von Bewegungsmeldern aus dem Camp. Im März etwa führt Deinhardt einen Spähtrupp zu einem Waffenlager der Aufständischen in der Provinz Surobi. Mit Fahrzeugen ist der Standort nicht erreichbar, die Mission ist zu Fuß kreuzgefährlich – aber am Ende erfolgreich. Vor Ort werden tatsächlich 440 Granaten und Hunderte Schuss Leichtgeschütz-Munition entdeckt. Als ein Hubschrauberlandeplatz gefunden und abgesichert ist, werden weitere Soldaten eingeflogen und das Munitionslager in die Luft gejagt. „Ich glaube, die meisten Einheimischen waren sehr froh, dass das Mistzeug weg ist.“ In einem Dorf gehen bei der Explosion einige Scheiben in die Luft, Deinhardt gibt den Bewohnern 20 Dollar für die Reparatur.
Armut, Härte und Ausweglosigkeit erscheinen ihm in jenen Monaten als „unverrückbare Größen“ im Leben der Afghanen. Deinhardt schreibt über gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Nomadenstämmen und Sesshaften um ein Stück Land, es gibt Schusswechsel. Behörden hatten beiden Seiten Grundbesitzpapiere für dasselbe Gebiet verkauft. Die ISAF-Kräfte versuchen zu vermitteln – ohne zwischen die Fronten zu geraten.
Bilder aus Dresden sollen Hoffnung wecken
„Wenn ich über unser Tun hier nachdenke, fühlt man sich oft wie ein Don Quichote, der gegen Windmühlen kämpft. Das Schönste hier ist, wenn dir Menschen freundlich begegnen.“ Bei einem Treffen mit Mullahs und Maleks aus den Bergen werden Fladenbrot, Hammelfleisch und Reis serviert. „Den Maleks zeigten wir Bilder von Dresden nach der Zerstörung 1945 und von heute, wir wollten ihnen Hoffnung geben, dass ein Wiederaufbau möglich ist.“
Deinhardt schildert, wie seine Kameraden Monat für Monat immer ausgebrannter sind. Es fällt ihm auch selbst schwer, die volle Konzentration zu behalten – er weiß, dass Aufmerksamkeit überlebenswichtig ist. Nach weiteren Einsätzen in den Jahren 2006 und 2007 quittiert er den Dienst. Den ISAF-Einsatz hält er für gescheitert. „Die Ziele der Intervention wurden verfehlt“, sagt er. Bei den kleinen Erfolgen, den Mädchenschulen, Brunnen und Krankenhäusern, fragt er sich, wie nachhaltig sie sein werden. Deinhardt ist heute Geschäftsführer des Bundesverbands Geothermie. Seine Freundin hat er geheiratet, er lebt mit ihr und der kleinen Tochter in Werder.
André Deinhardt wird sein Buch „Afghanistankrieg 2005: Edition von Feldpostbriefen aus dem 7. Deutschen Einsatzverband ISAF Kabul“ am 6. Februar um 19 Uhr im Scharfrichterhaus in Werder, Plantagenplatz 1, vorstellen.
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