Potsdam-Mittelmark: „Formell illegal“
19 Fercher Familien in Sperlingslust droht das Wohnverbot – nach 20 Jahren brauchen sie eine Baugenehmigung
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Schwielowsee · Ferch - Schön ist es im Garten von Heinz und Rose Wruck: Der Rasen ist frisch gemäht, aufgeräumt blühen Rosen und Rittersporn in der Sonne. Vogelgezwitscher dringt von den vielen Bäumen herunter, die das Grundstück säumen. Kühle Getränke und Zeitung im Wintergarten: Hier lässt es sich aushalten. Die beiden hatten eigentlich geplant, in diesem kleinen Paradies ihren Lebensabend zu verbringen. Doch neulich kam Post von der Bauaufsicht. Das Schreiben kündigte die „Nutzungsuntersagung“ an, denn die Wrucks wohnen hier, so der Wortlaut, „formell illegal“.
Seit 1978 haben sie hier – in Sperlingslust – ihr kleines Wochenendhaus, vor elf Jahren fiel die Entscheidung, das Anwesen im Grünen zum Alterssitz zu machen. In Anbetracht der Fercher Idylle fiel die Wahl nicht schwer. Wrucks meldeten damals hier ihren Hauptwohnsitz an, die Zustimmung vom Einwohnermeldeamt kam prompt. Dass man jedoch auch eine Genehmigung von der Bauaufsicht braucht, hätten sie nicht gewusst, immerhin steht das Häuschen seit Ewigkeiten hier. Und die baulichen Veränderungen hätten sich auf die Werterhaltung, Putz und Farbe beschränkt.
Wie ihnen ergeht es weiteren 18 Haushalten in der Nachbarschaft, zumeist handelt es sich um ältere Paare. „Aufgrund der Lage des Grundstücks im Außenbereich liegt auch keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit vor“, heißt es in dem Brief der Bauaufsicht weiter. Heinz Wruck sieht es anders: „Das Baurecht ist doch Auslegungssache“, meint er – auch mit Blick zum Petzower Ferienresort. Die Konsequenz: Das Paar müsste sich eine Hauptwohnung mieten. Dort einziehen müssten sie aber nicht, denn: Laut Gesetz darf man ein halbes Jahr auf dem Wochenendgrundstück sein. „Den Rest der Zeit bin ich auf Geburtstagsfeiern oder führe meinen Hund im Wald aus“, witzelt Wrucks Nachbar Herbert Schott. „Das heißt, meine Frau könnte sechs Monate bei mir zu Gast sein und ich die anderen sechs bei ihr“, sagt Klaus Schwarz, ein weiterer Betroffener.
Die Fercher sind verbittert, fühlen sich kriminalisiert: durch den Brief, der das Wohnverbot ankündigt, und durch Leute, die sich mit Kameras vor den Zäunen postierten, um die Grundstücke zu fotografieren. Unterm Vordach des Hauses seien die Beamten aus Belzig bei Regen stehengeblieben, wollten trotz der Einladung nicht ins Haus kommen, schüttelt Rose Wruck den Kopf.
„Wären wir nicht hier, wäre das alles eine bewaldete Müllkippe“, vermutet Nachbar Heinz Schmiedel. Es war Mitte der 60er, als nach und nach Familien aus Sachsen in Ferch Wochenendgrundstücke erwarben oder pachteten. In gemeinschaftlicher Arbeit wurde das Areal entrümpelt, Baumaterial von zuhause aus herangeschafft und daraus die Bungalows gebaut. Man wuchs zusammen und gründete 1975 die „Wassergemeinschaft Seddiner Weg“. In vielen arbeitsreichen Stunden wurden Schächte gegraben, Rohre verlegt und die Haushalte ans Wassernetz angeschlossen. Auf ähnliche Weise wurden die Wege in den 90ern befestigt, damit die Müllabfuhr durchkommt.
Die Fercher haben jetzt ein Schreiben an den Petitionsausschuss des Landtages geschickt, denn der Schreck war erst einmal groß. „Zumal der Landrat gerade erst versprochen hatte, Potsdam-Mittelmark solle der seniorenfreundlichste Landkreis werden – und dass dafür auch das Baurecht großzügig ausgelegt werden muss“, sagt Klaus Schwarz enttäuscht. Er nennt mehrere Möglichkeiten, das Problem zu lösen, wobei sein erster Vorschlag sehr makaber klingt: „Drei Viertel hier sind Rentner – in ein paar Jahren erledigt sich das auf biologische Weise.“ Ein weiterer Vorschlag: Alle Beteiligten setzen sich an einen Tisch und suchen gemeinsam nach einer Lösung.
Eine dritte Möglichkeit: Die Gemeindevertretung beschließt die Aufstellung eines Bebauungsplanes. Dass dies jedoch teuer und schwierig sei, sagt Ortsbürgermeister Roland Büchner (BBS). Nicht alle Anlieger würden dort permanent wohnen, hätten also auch kein Interesse an einem Bebauungsplan. Außerdem bestehe die Gefahr dass sich Ferch – bereits jetzt flächenmäßig sehr groß – weiter zersiedelt. Und schließlich müsse zunächst der Flächennutzungsplan geändert werden. Der ist im Moment für diesen Bereich noch weiß, die damalige Gemeinde habe sich am Vorabend der Gebietsreform in einzelnen Bereichen nicht mit der gemeinsamen Landesplanung auf eine Nutzung einigen können.
In der nächsten Ortsbeiratssitzung (13. Juni, 19 Uhr, Rathaus Ferch) soll erörtert werden, inwieweit sich doch noch eine Mischbebauung etablieren ließe – ein erster Schritt, um die Situation zu entwirren. Planungsgrundlagen kann die Gemeinde schaffen, Baurecht erteilen kann sie nicht. Büchner sieht Schwielowsee in der Fürsorgepflicht, „wir lassen die Anwohner auch nicht im Regen stehen“. Der Bauaufsicht sei indes kein Vorwurf zu machen, sie müsse jedem Fall nachgehen.
Zumindest ein wenig entschärfen kann der Leiter der Behörde, Jörg Naucke, den Brief: „Zur Stunde geht keine Untersagung raus.“ Jetzt müsse erst einmal die Petition beantwortet werden, die auch in Belzig eingegangen ist, danach werde jeder Fall überprüft – sehr sensibel, verspricht er. „Fakt ist jedoch: Nicht jeder kann im Wald wohnen.“ Die Fercher Siedlung sei längst nicht der einzige Fall dieser Art im Landkreis. Dass so etwas über einen nachträglichen Bebauungsplan legalisiert wird, sei auch schon vorgekommen. Die Fercher „Apfelplantage“ sei ein Beispiel. „Eine Umnutzung kann dann jeder beantragen.“
Die Fercher reagieren unterschiedlich auf das Verfahren. Die einen haben sich einen Anwalt genommen, die anderen stellen sich auf den Umzug ein. Der Rest hofft, sich irgendwie durchzuschummeln, vielleicht doch noch so lange bleiben zu können, bis die Zeit ihr übriges tut.
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