Potsdam-Mittelmark: „Fotos dürfen nie alles zeigen“
Mit seiner Bachelor-Arbeit schaffte es Wolfram Hahn unter die besten Pressefotos des Jahres 2011
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Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein schlichtes Porträtfoto. Doch das kleine Mädchen, das da mit gebannter Ausdruckslosigkeit an der Kamera vorbeistarrt, sieht fern. Diesen passiven Gesichtsausdruck, der entsteht, wenn man vom Fernsehprogramm gefesselt ist, hat der Berliner Fotograf Wolfram Hahn in seiner Serie „Entzaubert“ mit über einem dutzend Kindern zwischen drei und zwölf Jahren festgehalten. Entstanden ist das Projekt – wie fast all seine anderen Arbeiten – im Rahmen seines Kommunikationsdesign-Studiums an der Universität Potsdam.
Aber auch wenn Fotografieren heute der Beruf des 32-Jährigen ist, hatte er ursprünglich ganz andere Pläne: „Ich wollte immer etwas mit Grafik und Architektur machen, Fotografieren war eigentlich nie mein Wunsch gewesen.“ Daher schrieb sich der aus Schwäbisch-Hall stammende Hahn 2003 erst einmal für knapp ein Jahr in Berlin zum Architekturstudium ein, musste jedoch bald feststellen, dass dies nicht seinen Vorstellungen entsprach.
2004 wechselte er daher zum Fach Kommunikationsdesign an der Uni Potsdam. Seine erste konzeptionelle Arbeit war „Entzaubert“, bei der er Jungen und Mädchen beim Schauen von Fernseh-Kinderprogrammen fotografierte. „Ich habe versucht, genau den Moment zu einzufangen, wo die Gesichter keine Regung zeigten.“ Diese Arbeit – die 2007 zu den „Unicef Photos Of The Year“ zählte – sei die Initialzündung für seine Hinwendung zur Fotografie gewesen, so Hahn. Umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass Hahn in relativ kurzer Zeit weg von Farben und Formen auf dem Papier hin zu realen Menschen übergeschwenkt ist, denn die sind das bevorzugte Objekt des Fotografen.
Eine andere Serie trägt den Titel „Café Bankrott“. Das ist auch der Name eines Berliner Cafés, in dem sich häufig Verkäufer des Obdachlosen-Magazins „Straßenfeger“ aufhalten. Ein halbes Jahr lang war auch Hahn regelmäßig hier zu Besuch, um das Gespräch mit Armen und Wohnungslosen zu suchen und Porträts von ihnen zu machen. Das Auffälligste an den Fotos ist, dass sie keine Milieustudie darstellen: Die Menschen, die ihren Beruf verloren und Schicksalsschläge erlitten haben oder an Drogensucht leiden, sind auf den ersten Blick kaum als gescheiterte Existenzen zu erkennen, sondern sehen aus wie normale Passanten. Die Bilder wurden im Winter 2008 an den Wänden des U-Bahnhofs Rosenthaler Platz ausgestellt.
Wolfram Hahn sieht sich als dokumentarisch-künstlerischer Fotograf, der die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Phänomenen anregen will. „Es ist wichtig, dass Fotografie nie alles zeigt“, lautet seine Überzeugung. Hahns Bilder arbeiten nicht auf Pointen und Effekte hin, einzelne Fotos sagen oftmals wenig aus und zeigen nur Ausschnitte des Ganzen. Der Betrachter ist aufgefordert, selbst zu erforschen, was es mit den Hintergründen eines Fotos auf sich hat.
Dies gilt auch für die Serie „Into The Light“, die nicht nur Hahns Studien-Abschlussarbeit darstellt, sondern auch den zweiten Preis in der Kategorie „Porträts Fotoserien“ der World-Press-Photo-Stiftung erhielt und die damit zu den 200 weltbesten Pressefotos 2011 gehörte, die auch im Januar in den Potsdamer Bahnhofspassagen ausgestellt worden waren. Die Bilder zeigen Myspace-Nutzer aus Berlin, die für Hahn die Situation nachgestellt haben, in der sie das Porträtfoto für ihre Myspace-Seite gemacht haben. „Die Leute sitzen alleine zu Hause, fotografieren sich selbst und versuchen so, über ihr Foto im Internet in Kontakt mit der Außenwelt zu treten, statt einfach raus zu gehen“, sagt Hahn. „Manche Menschen fotografieren sich regelmäßig alleine“, erzählt der Fotograf, „aber sehr viel mehr Frauen als Männer“.
Seine ursprüngliche Idee war jedoch eine andere: Extra für ein Fotoprojekt hatte Hahn begonnen, drei Monate in einem Callcenter zu arbeiten, um die dort Angestellten zu porträtieren. Da es jedoch kaum Kommunikation unter den Telefonisten gegeben habe, surfte Hahn immer mehr im Internet und besuchte dort Myspace und soziale Netzwerke. Die Masse an Profil-Fotos die er fand, faszinierte ihn: „Zuerst war ich beeindruckt von dieser Dynamik, aber im Laufe der Zeit fand ich, dass sich die Bilder sehr ähnlich sahen.“ Viele hätten schon regelrechte Routine darin gehabt, sich selbst zu fotografieren und stellen sich auf den Bildern meist als glücklich und geborgen dar, so Hahn. Er erstellte ein Myspace-Profil, klickte sich an manchen Tagen sechs Stunden lang durch Profile, um passende Personen für ein Porträt zu finden und schrieb im Laufe von eineinhalb Jahren über 500 E-Mails an andere Nutzer. Etwa ein Prozent antwortete wohlwollend und ließ sich von Hahn fotografieren.
Viele seiner Foto-Ideen kommen Wolfram Hahn einfach bei der Beschäftigung mit seiner Umwelt. So verwundert es nicht, dass auch sein nächstes Projekt sich mit dem urbanen Alltag beschäftigt: Hahn plant eine Foto-Serie über Einkaufshallen als soziale Treffpunkte.
Weitere Informationen: www.wolframhahn.de
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