
© J. Bergmann
Potsdam-Mittelmark: Gegessen wird, was von nebenan kommt
Regionale Küche bevorzugt: Grünen-Vertreter kochten mit dem Chef des Gasthofs zur Linde. Ein Besuch
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Michendorf/Wildenbruch - Zwischen leuchtend orangenen Kürbissen und der Kiste mit Möhren, Zucchini und Tomaten, zwischen vier elektrischen Kochplatten und grünen Pfannen nehmen sie sich klein, fast mickrig aus: die weißen Rübchen. „Gestern habe ich sie Axel Szilleweit auf seinem Hof in Teltow abgeluchst“, erzählt Ralf Weißmann, während er an einem großen Tisch im Garten seines Gasthofs, etwas abseits von einer Hochzeitsgesellschaft, Zwiebeln für die Dinkelpuffer mit Gemüse schält. „Das sind die ersten Rübchen dieses Jahr, wegen der Trockenheit besonders spät.“
Gegessen wird in der „Linde“, was die Zulieferer aus der Umgebung in ihren Ställen und auf dem Feld haben – das ist mehr als die gastronomische Philosophie des Restaurant-Chefs in Wildenbruch. Es ist Arbeits- und Lebensphilosophie zugleich. „Ich pflege keine Geschäftsbeziehungen, sondern ein Beziehungsgeschäft“, sagt der 50-Jährige ausdrücklich. Zwei Mitarbeiter der Grünen-Fraktion im Brandenburger Landtag sind an diesem Freitag zu Besuch und kochen mit. Beim gemeinsamen Schnippeln der Pilze und Kürbisse wollen sie herausfinden, was märkische Gastronomen dazu bringt – oder davon abhält –, ihren Gästen Gerichte aus regionalen Zutaten anzubieten. Dazu haben sie jetzt die Reihe „Restaurantgespräche“ ins Leben gerufen.
Die „Linde“ ist der zweite Gasthof, erzählt Benjamin Raschke, landwirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion. Vergangene Woche hat er in der Uckermark den Gasthof Kraatz besucht, wo die japanische Köchin Sushi und Salat servierte. Kommende Woche stehe Leutloff’s in Zeuthen auf dem Programm. Mal laden die Grünen einen Küchenchef dazu, mal einen Landwirt. „Wir fragen dann, wie sich der Einsatz regional produzierter Lebensmittel erhöhen lässt – am besten natürlich bio“, so Raschke. „Denn unserer Erfahrung nach würden viele Landwirte gerne mehr Bio anbieten. Die meisten Gasthöfe sind daran nicht so interessiert. Da stehen wir vor verschlossener Tür.“
Für die „Linde“ muss es nicht bio sein. „Mein Schwiegervater erntet morgens im Nachbarort die Bohnen“, erzählt Weißmann. „Sie kommen auf kurzem Weg zu uns und sind frisch.“ Vom Kochen, vom Geschäft mit regionalen Produkten aber sind er und sein Hauptkoch überzeugt – und haben dieses über viele Jahre hinweg aufgebaut. Etwa den Kontakt zum Wildhandel Alfred Schreinecke. „Wir haben auch schon mal ein Bier getrunken. Noch nie habe ich gefragt: Was kostet ein Hirschrücken?“, erzählt Weißmann.
Die Lieferbeziehungen haben sich eingespielt. Egal ob es sich um den Fischer in Kehnsdorf, die Geflügelzucht in Seddin oder die Imkerei Brauße in Blankensee handelt, um die Bäckerei Fahrland oder den Spargelbauern in Zauchwitz: Die Betriebe wissen, welche Mengen der Gasthof zur Linde benötigt. Zwar bestellt Küchenchef Guido Reihs, der seit fast 20 Jahren hier arbeitet, täglich Ware. Doch erlebt er morgens im Kühlschuppen hinten im Garten gelegentlich eine Überraschung. Dann konnten die Erdbeeren oder Tomaten nicht geliefert werden – es war zu heiß oder zu regnerisch oder ein Teil der Ernte ist einfach verfault.
Die Qualität der regionalen Ware sei nicht zu beanstanden. Im Gegenteil, betont Ralf Weißmann: „Die ist top.“ Nur die gewünschte Menge zu bekommen, sei manchmal problematisch. Immerhin verbraucht die „Linde“, die auch Übernachtungsgäste beherbergt, pro Woche rund 1000 Eier, erzählt der Koch. Beim Gemüse gelingt es vor allem im Sommer mit bis zu 90 Prozent noch am ehesten, den Bedarf des Gasthofes zu decken. Ein Bauer aus dem benachbarten Freesdorf liefere alles an Wurzeln, Zwiebeln, Kürbissen und Zucchini. „Aber beim Ziegenkäse und Lammfleisch sieht das anders aus.“ Das liege mit daran, dass nur noch Lammfilet und -rücken auf dem Teller begehrt seien – und Brandenburger Höfe diese große Menge nicht liefern könnten.
Doch die beiden Männer, die mit fünf weiteren Köchen und drei Küchenhilfen sowohl die Gäste im Gasthaus und im Garten als auch bei Festen in der alten Scheune verköstigen, sehen das gelassen. „Man muss flexibel sein“, sagt Ralf Weißmann. Sein Koch stellt den Plan dann einfach um. „Die einfachste Speisekarte ist ein Holzbrett, auf das man schreibt, was es gibt.“ Denn bei manchen regionalen Produkten wollen Gasthofchef und Chefkoch keinen Kompromiss eingehen, darin sind sie sich einig: Beelitzer Spargel etwa, Wild oder Eier werden nicht von weiter weg geholt. Pfifferlinge aus der Ukraine kämen erst recht nicht infrage: „Die sind verstrahlt.“ Und wie reagieren die Gäste, wenn es derzeit wegen der Hitze keine Pfifferlinge in der „Linde“ gibt? „Die haben Verständnis.“
Um die Menschen stärker für Regionales zu begeistern, bietet die „Linde“ auch Probierhäppchen der Teltower Rübchen an. „Die Älteren kennen das noch. Aber die Jüngeren haben teilweise kein Geschmacksempfinden mehr“, kritisiert Guido Reihs – und wendet für den Nachtisch die Werderaner Pflaumen in einem Sud aus Rohrzucker und Balsamico-Essig. Der allerdings stammt aus Italien.
Isabel Fannrich-Lautenschläger
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