
© Björn Stelley
Saatgut aus Potsdam-Mittelmark: Geordnet zum Wildwuchs
Bei Phöben werden heimische Gräser und Wildpflanzen kultiviert. Ab 2020 darf nämlich kein gebietsfremdes Saatgut mehr in der freien Natur ausgebracht werden - oder nur mit Genehmigung. Grund ist ein neues Gesetz.
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Werder (Havel) - Es ist ein heißer Frühlingstag, Wildblumen so weit das Auge reicht. Jochen Zeller fühlt sich hier zu Hause, er ist Landwirtschaftsmeister und Saatgut-Spezialist in vierter Generation. Sein Unternehmen, das deutschlandweit Anbauflächen betreibt, baut auch in Phöben auf rund 35 Hektar unzählige regionaltypische Gräser und Wildpflanzen an, darunter etwa Wiesen-Fuchsschwanz, Gewöhnliche Braunelle, Schmalblättrige Rispe oder Kuckucks-Lichtnelke. „2002 haben wir angefangen Saatgut zu sammeln“, sagt Zeller. Er habe damals bereits geahnt, dass regionales Saatgut mal eine größere Rolle spielen werde.
Damit lag Jochen Zeller richtig. Ende 2009 wurde im Bundesnaturschutzgesetz festgelegt, dass gebietsfremdes Saatgut in freier Natur ab 2020 nur noch mit Genehmigung ausgebracht werden darf. Das gilt für sämtliche Flächen außerhalb besiedelter Bereiche, die nicht der Land- und Forstwirtschaft dienen. Ganz Deutschland wurde von der Leibniz-Universität in Hannover in Ursprungsgebiete eingeteilt. Potsdam-Mittelmark liegt im Ursprungsgebiet 4, das sich vom Norden von Schwerin südöstlich bis fast nach Görlitz erstreckt.
Genetische Vielfalt erhalten
Künftig darf laut der neuen Naturschutzverordnung zum Beispiel eine Saatgutmischung aus Gebiet 18, ein schmaler Streifen entlang des bayrischen Alpenraums, nicht in der Umgebung von Werder ausgebracht werden. „Ziel ist es, die genetische Vielfalt zu erhalten“, sagt Rudolf Vögel, Referent für Klimaschutz im Landesumweltamt. In einer Fachveranstaltungsreihe, den sogenannten Feldtagen, wollen die Landesämter für Umweltschutz und für Landwirtschaft über die neuen Anforderungen informieren.
Der erste Feldtag fand am gestrigen Donnerstag in Phöben statt. Aus den Pflanzen, die hier auf den Feldern Jochen Zellers wachsen, wird heimisches Saatgut gewonnen. Daraus werden regionaltypische Mischungen hergestellt, die dann einmal Landschaftsparks und Flussauen, Straßenböschungen, Flussdeiche und alte Tagebaue in der Region genehmigungsfrei begrünen können.
Bunte Wiesen sind selten geworden
Das nötige Saatgut ist längst nicht beisammen. „In der Regel benötigen die Betriebe zehn Jahre, um sich auf eine Gesetzesänderung einzustellen“, sagt Vögel. Jochen Zellers Biologen sammeln deshalb fleißig weiter, in der Regel in Naturschutzgebieten. „Dafür benötigen wir eine Genehmigung“, sagt Zeller. Mitunter komme es aber vor, dass diese verwehrt werde. „Manchmal fehlt es am Bewusstsein für die Sache“, meint Zeller trocken. Im hiesigen Ursprungsgebiet werden auch ehemalige Truppenübungsplätze als Spenderflächen aufgesucht.
Ein größeres Bewusstsein für nachhaltige Landwirtschaft und Naturschutz habe sich erst in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt, sagt Biologe Kai Heinemann vom Naturschutzfonds in Brandenburg. Doch die Technisierung habe ihren Preis gefordert. „Sümpfe wurden trockengelegt, Flüsse begradigt, Straßen gebaut, Stromtrassen angelegt“, sagt Heinemann. Bunt blühende Mähwiesen seien selten geworden. „Selbst blühende Unkräuter sind in den dichten Beständen auf den stark gedüngten und gespritzten Äckern rar geworden.“
Nicht nur schön aussehen
Er begrüßt die neue Regelung im Naturschutzgesetz, die heimischen Gräser und Wildpflanzen wirkten sich auch auf die Fauna aus. „Lebensräume mit natürlicher Ausprägung sind Nährweiden für Insekten, Vögel und Wildtiere, weshalb auch gebietsheimische Pflanzen, Wildarten und Bienenweiden deren Lebensgrundlage sind“, sagt Heinemann.
Eine Wildblumenwiese soll nicht einfach nur schön aussehen und für Insekten eine Rolle spielen. „Sie dienen als Ruheräume, Nist- und Habitatmöglichkeiten“, sagt Rudolf Vögel. Die Kultivierung der Wildgräser bei Phöben bringe für die Region jetzt schon einen Effekt, meint er. Da Saatgut-Zeller mit einem Agrarbetrieb in Schmergow zusammenarbeitet, können die Böden gewechselt werden. So kann sich der Acker, auf dem zuvor Mais angebaut wurde, dann durch Wildgräser erholen. „Ein Segen für die Böden“, so Vögel.
Ab März 2020 gilt der neue Zusatz im Bundesnaturschutzgesetz. Und immer dann, wenn irgendwo in Potsdam-Mittelmark eine Verkehrsinsel begrünt wird, stammt die Saat wahrscheinlich von Jochen Zeller aus Phöben.
Weitere Feldtage finden am 25. Juni in Temmen und Wilmersdorf in der Uckermark sowie am 26. Juni in Jänschwalde statt. Mehr Infos gibt es hier >>
Björn Stelley
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