Aus dem GERICHTSSAAL: Gericht: Es könnte so gewesen sein
Ex-Soldat soll Stiefsohn jahrelang gequält haben. Verfahren gegen Zahlung von 2500 Euro Geldbuße eingestellt
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Potsdam-Mittelmark - Auch der vierte Verhandlungstag am Amtsgericht brachte keine endgültige Klarheit darüber, was sich zwischen 2004 und 2007 in der Wohnung eines ehemaligen Bundeswehrangehörigen aus einem Ort in Potsdam-Mittelmark abspielte. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Mann vorgeworfen, seinen damals noch minderjährigen Stiefsohn Timo* regelmäßig gequält zu haben. So soll er den Jungen mit Fäusten und Gegenständen geschlagen, ihn getreten, geschubst und gewürgt haben. Das Opfer erlitt laut Anklage immer wieder Hämatome an den verschiedensten Körperstellen, Platz- und Schürfwunden. Der Ex-Soldat berief sich zu Prozessbeginn auf sein Aussageverweigerungsrecht (PNN berichteten).
Eine Zeugin, die möglicherweise wichtige Beobachtungen gemacht hatte, blieb dem Prozess trotz mehrfacher Ladung und Verhängens von Ordnungsgeld in dreistelliger Höhe fern. So stellte das Gericht unter Vorsitz von Reinhild Ahle das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße von 2500 Euro ein. 1800 Euro erhält Timo als Wiedergutmachung, 700 Euro gehen an die Staatskasse. „Das ist kein Freispruch, aber auch keine Verurteilung“, erklärte die Richterin. „Allerdings spricht einiges dafür, dass es so gewesen ist.“
Timo – inzwischen 21 Jahre alt und in Bayern lebend – hatte den Stiefvater nach einer Psychotherapie, in der seine Kindheit und frühe Jugend aufgearbeitet wurde, angezeigt. Im Zeugenstand berichtete seine ehemalige Therapeutin, der junge Mann sei von Juli bis September 2011 Patient im Saale-Unstrut-Klinikum Naumburg gewesen. Bei ihm seien eine Störung der Persönlichkeitsentwicklung durch häusliche Gewalt sowie eine depressive Anpassungsstörung diagnostiziert worden. Er habe von Schlägen mit allem, was dem Stiefvater gerade in die Hände fiel, berichtet. Begonnen habe das Martyrium mit Timos siebentem Lebensjahr. Die Gewalttaten gegen ihn hätten sich noch verstärkt, als der kleine Bruder geboren wurde. Einzelheiten habe Timo nicht erzählt, allerdings habe er berichtet, sich selbst Verletzungen zugefügt zu haben, um den permanenten „Spannungsdruck auszuhalten“. Und es habe immer wieder Phasen gegeben, in denen er mit dem Gedanken spielte, sich das Leben zu nehmen, führte die Gutachterin aus.
Vor Gericht tat sich Timo mit seiner Aussage sehr schwer. Stockend berichtete der Angestellte von körperlichen Züchtigungen durch den Stiefvater, weil er zu spät nach Hause kam, beim Rauchen erwischt wurde, die Schule schwänzte oder auf Fragen einfach nicht antwortete. Vier- bis fünfmal im Monat sei er diesen Torturen ausgesetzt gewesen, schilderte der wegen Vergewaltigung unter Bewährung Stehende. Einmal habe sein Stiefvater mit einer Zaunlatte auf ihn eingedroschen, die dabei zerbrach. Als Timo 16 Jahre alt war, haute er von zu Hause ab, tauchte später bei den Großeltern mütterlicherseits viele Hundert Kilometer entfernt auf. Er stahl ihren Alkohol, betrank sich bis zur Bewusstlosigkeit, landete im Krankenhaus.
Timo sei ein schwieriges Kind gewesen, wegen seiner Körpergröße und Fülle von seinen Mitschülern oft gehänselt worden, erinnerte sich seine Mutter im Zeugenstand. Dass ihr Mann den Jungen geschlagen habe, will sie nie gesehen haben. „Ich war es, die ihm mal eine Ohrfeige gab, wenn ich gar nicht mehr mit ihm klar kam. Mein Mann verhängte Strafen wie Taschengeldentzug und Stubenarrest.“
„Innerfamiliäre Probleme führten offenbar zu falsch verstandenen Erziehungsmethoden“, betonte Richterin Ahle. Erneute etwaige Übergriffe sind nicht zu befürchten. Timo hat den Kontakt zu seinem Stiefvater komplett abgebrochen. (*Name geändert.) Hoga
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